steilberghoch

Ultracycling und Alpenpaesse

Alpenbrevet 2011 Platinrunde

4:25 bin ich wach. Die Nacht war nur so mittel, aber noch ok. Das Frühstück im Hotel ist nicht so spektakulär, aber Müsli gibt’s und so eine Art Brot, dazu Schweizer Käse und Marmelade. Ich bin über ein halbes Kilo zu schwer und habe nur ein mittelgutes Gefühl. Das mit dem Tapern hat wohl nicht so gut geklappt.

Die Triabag habe ich noch vom Fahrrad abgemacht, ein paar Franken kommen in die Satteltasche, falls ich mit dem Taxi zurück muss, das Handy auch, so dass es während der Fahrt keine Bilder gibt.

Um zehn nach sechs fahre ich ein paar Meter um Garmin 800 und SRM einzustellen und zu prüfen. Dann gehe ich zum Start. Ich setze voll auf gutes Wetter, d.h. nur die dünne Windjacke kommt mit, und Helmmütze und Beinlinge lasse ich aus, nehme sie aber auch mit. Ich will mich eigentlich zum Startblock mit dem 24er Schnitt stellen, aber da kann ich mein Fahrrad nicht abstellen, davor im 26er Block aber schon also mache ich das.

Die Startmusik ist sehr dezent, die Zurückhaltung der Schweizer ist mir hier eigentlich recht sympathisch. Ich versuche mich etwas zu pushen, aber mein Gefühl sagt mir, das das Rennen letzten Dienstag hätte stattfinden sollen. Na wird schon.

Entgegen meiner Erwartung stellen sich die Leute tatsächlich so auf, wie sie realistisch erwarten zu fahren. Offensichtlich rechnet keiner damit einen 26er Schnitt zu fahren, so bleibt dieser Startblock leer. Jedenfalls fast. Denn ich stehe ja knapp vor dem 24er Block und damit vorne. Ups, selbst bei allem Optimismus der mein wirres Hirn gestern zu wilden Rechnereien mit Zeiten unter 11 Stunden verführt hat, weiß ich, dass das nun wirklich zu schnell ist.

Kurz vor dem Start, der 26er Startblock ist leer…

Hm, na egal jetzt bleibe ich erst mal hier stehen. Zum Glück, stellen sich noch ein paar dazu, und ich denke mir, dann fahre ich die ersten Meter halt mit den Schnellen und guck mal wie die so fahren. Auf jeden Fall interessant.

Dann läuft ein bisschen Barockmusik, so genau kriege ich nicht mit was, und dann kommt auch schon der Countdown. 5, 4, 3, 2, 1… los!

Und dann kommt genau das, was mir eigentlich gestern schon klar war. Es macht natürlich Spass direkt hinter dem Führungsfahrzeug zu fahren, aber die Leute gehen ab wie die Feuerwehr. Vom Start weg, ich habe keinen einzigen Führungsmeter, da die ersten Fahrer lossprinten wie beim Bahnsprint.

Schon vom Start weg geht es voll Power los.

Ich weiß, dass es total blöd ist. Ich denke mir mal gucken wieviel Watt die so treten, die richtig schnellen. Und so verglühe ich nicht am ersten oder zweiten Pass wie prognostiziert, sondern schon auf den ersten sechs Kilometern nach Innertkirchen.

An der ersten Steigung tritt die Spitzengruppe so 380 bis 450 Watt. Ich sollte um 260 Watt rum fahren. Mache ich aber nicht. Selbst als es in den Grimselpass geht versuche ich noch eine Weile dranzubleiben. Dabei trete ich bis über 700 Watt. Roter kann der Bereich eigentlich nicht sein. Sehenden Auges und spürenden Beines bereite ich mir den Boden für eine elende Quälerei.

Ja, es macht auch Spaß ganz vorne zu fahren, wobei schon nach einem Drittel im Grimselpass die Gruppe mit den Führenden, etwa 30 Fahrern, immer weiter entschwindet. Vereinzelt fallen welche zurück und es bilden sich unterschiedliche kleine Gruppen, die Versuche starten wieder ranzufahren, was jedoch völlig aussichtslos ist. Ich trete immer noch viel, viel zu hohe Wattzahlen.

Ich weiß, dass ich über 10 Minuten ungefähr 350 Watt fahren kann. Über 40 Minuten ungefähr 320.

Aber über 11, 12 Stunden? Da sind es vielleicht gut 200 Watt. Aber der Wattmeter geht anfangs nicht unter 300 Watt. Ich denke mir, platt gemacht habe ich mich schon auf den ersten sechs Kilometern, jetzt will ich einfach schauen, wie weit ich im Grimsel komme, wieviel Watt ich in diesem Berg treten kann. Völlig verückte Idee bei einem Radmarathon in den Alpen. Vor allem bei DEM Radmarathon in den Alpen. Egal, ich halte drauf. Und ich habe wirklich zu kämpfen, um die hohen Wattzahlen zu treten.

Auf die Landschaft achte ich überhaupt nicht, ich hatte auch keine Gelegenheit, bzw. habe überhaupt nicht dran gedacht irgendwelche sinnvollen Zwischenzeiten zu nehmen am Garmin oder SRM.

Immer wieder habe ich verschiedene Fahrer (oder auch dieselben) um mich herum, gegenseitig pusht man sich etwas. Die erste Umfahrung ignorieren wir, die zweite wird aber gefahren. Danach sieht man dann schon die Staumauer. Auch heute gibt es etwas Gegenwind, aber bei weitem nicht so stark wie vor ein paar Wochen bei der Trainingsfahrt.

Die zweite Tunnelumfahrung am Grimselpass

Auch wenn jetzt noch einige schwere Serpentinen kommen, so geht der Pass doch fast schneller zu Ende als gedacht. Allerdings sind die letzen Kilometer hart. Ich überlege kurz die Gold Strecke zu fahren, oder vielleicht doch lieber Silber? Selbst der Gotthard scheint mir jetzt zu schwer, ich habe mein Pulver schon verschossen.

Kurz vor der Passhöhe am Grimselpass

Oben angekommen sind es über 290 Watt im Schnitt geworden, vom Start bis auf den Grimselpass, mit Spitzen bis 714 Watt. Oje…

An der Verpflegungsstation frage ich nach dem KH-Getränk. Iso willst? Nee Kohlenhydratgetränk, das was im Flyer steht, Nutrixxion Endurance blabla! Also Iso? Nein kein Iso, KH Getränk!! Ja, Iso..
(Mehr zum Thema Iso / KH Getränk, siehe folgenden Blogeintrag)

Ich gebe auf. Und bereue den Entschluss mein geliebtes Sponser Long Energy im Hotel gelassen zu haben. Und ahne, dass ich heute außer „Iso“ nix bekommen werde.

Nun habe ich also zwei Probleme. Kein KH Getränk und alle Kohlenhydrate schon im ersten Anstieg verschossen. Ich biege ab auf die Silberstrecke, das wird heut nix.

Nachdem ich meine Flasche mit Iso-Getränk gefüllt habe geht’s in die Abfahrt. In Gletsch gibt es angeblich eine Zeitmessstation, ich sehe keine. Links geht es zur Silberstrecke über den Furka, rechts Richtung Ulrichen und Nufenen, für die Gold und Platin Strecken. Ich biege rechts ab.

Abfahrt hinunter nach Gletsch

Auf der Abfahrt weiter nach Ulrichen finden sich so drei vier Fahrer zusammen, ein Teil davon hatte mich am Grimselpass abgehängt, aber die Abfahrt ging gut, immerhin etwas, und so konnte ich mir die wieder schnappen.

Auch auf diesem Teilstück ist keine rechte Entspannung angesagt, Spitzen bis über 500 Watt sind keine Seltenheit. Und dann haben wir Ulrichen erreicht, und es geht in den Nufenen. Das brutale Miststück. Jetzt wird es hart. Selbstverständlich kann ich nicht im entferntesten die Wattzahlen vom Grimselpass treten, aber eigentlich geht es noch einigermaßen. Die heftigen steilen Stücke gleich zu Anfang, die lange Gerade am Hang entlang, die steilen Serpentinen. Sau, sauanstrengend.

Ich verfluche etwas die Idee an so einem Event teilzunehmen. Was für ein Quatsch. Wie schön, wenn man morgens früh alleine der Passhöhe entgegen fährt, in seinem Tempo, seinem Rhythmus. Aber das hier, das ist pure Quälerei.

An die 11:30 verschwende ich keinen Gedanken mehr. Ich halte es für schwer genug überhaupt die Karenzzeit zu schaffen. Ich beschließe in Airolo auf die Goldstrecke abzubiegen, habe aber schon den Ehrgeiz, das Zeitlimit für die Platinstrecke zu schaffen. Aber hiernach noch Lukmanier und Oberalp, no way. Den Susten habe ich, wie bei allen Überlegungen vorher auch, komplett ausgeblendet.

Erstaunlicherweise kommt mir der Berg nicht so lange vor wie bei der ersten Befahrung vor ein paar Wochen. Ich habe mich mental darauf eingestellt. Aber diese Seite ist schon dreckig zu fahren, die Serpentinen sind konstant steil, die Gerade vorher sowieso, und mittlerweile knallt die Sonne ganz gut. Warum freuen sich bloß alle über das Kaiserwetter. (Als ob Franz Beckenbauer wirklich mit dem Radl durch die Alpen gurken würde, der sitzt schön gemütlich beim Stanglwirt…)

Oben angekommen versuche ich es nochmal mit dem KH Drink. Theoretisch sollte es hier sogar die XXL Variante mit noch mehr KH geben. Was willst du Iso? Ja, ja ist schon klar, mach‘ die Flasche voll. In dem Moment bin ich echt sauer, denn das LongEnergy hatte bei Trondheim – Oslo so gut funktioniert. Werde ich jetzt von meinem Ernährungsplan abweichen müssen? Wie war der Plan eigentlich, wollte ich nicht allein mit dem KH-Getränk bis Biasca kommen? . (siehe  folgenden Blogeintrag zum Thema Verpflegung)

Egal, ich stürze mich auf die Orangen Achtel die es hier gibt. Brot gibt’s auch und Bananen, und dann runter in die Abfahrt, nach Airolo. Da werde ich auf die Goldstrecke abbiegen. Wobei ich es etwas bereue nicht die Silberstrecke genommen zu haben. Denn die Schüttelstrecke den Gotthard hoch, das kann ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen.

Das SL3 Roubaix fährt gut ab, so richtig schnell werde ich nicht, obwohl ich den schlechten Straßenbelag komplett ignoriere. Aber immerhin, irgendwo bin ich 85 km/h gefahren. Es ist viel Verkehr, aber wie schon vom Grimsel hinunter bis Ulrichen kommt man mit sanfter Gewalt ganz gut durch. Das befürchtete Wohnmobil ist zwar da, aber es lässt uns vorbei. Herzlichen Dank!

In der Abfahrt bin ich fast komplett alleine, erst unten, wo es flacher wird stößt jemand zu mir, als ich langsam fahre um die Windjacke auszuziehen. Passt doch super. Wir geißeln zusammen bis Airolo, und ich kann etwas Körner sparen in seinem Windschatten (und er in meinem).

In Airolo gibt es eine Zeitmessstation, ich bin weit vom Zeitlimit entfernt. Die Verpflegungsstation brauche ich nicht, die Flaschen habe ich ja erst oben am Nufenen gefüllt. Links geht es zum Gottgard und der Goldstrecke, rechts auf die Platinstrecke hinunter nach Biasca. Ich biege rechts ab.

Nach ein paar Kilometern fährt hinter mir ein Schweizer, und scheint laut zu telefonieren. Aber er versucht wohl mit mir zu sprechen, teilweise kommentiert er auch was er sieht. Sehr seltsamer Typ. Ich fahre vor ihn, führe eine Weile und versuche im anzudeuten, dass er übernehmen soll. Er versteht es nicht ganz, aber fährt trotzdem vor, viel zu langsam und fährt dann nicht mehr aus dem Wind. Mist, so wird das nix. Dabei labert er mich voll, bzw. wohl auch mehr sich selbst, ich kann ihn aber leider nicht verstehen.

Ich habe nix mehr drauf, und will jetzt nicht den Typ hinter mir herziehen, wenn er vorne fährt ist es aber definitiv viel zu langsam. Dann stoßen noch zwei weitere Fahrer dazu, und ich versuche eine Gruppe aufzumachen, was dann schließlich auch gelingt. Auch der Schweizer Kollege, der immer noch ununterbrochen irgendwelches Zeug redet steigt mit ein. Nicht mehr ganz so langsam vorne, na klappt doch. Einer ist dabei, der erst mal mit 400 Watt wegsticht bei der Führung, dummerweise bin ich direkt dahinter und muss die anderen wieder ranziehen.

Dann läuft die Gruppe aber gut. Meist geht es bergab oder flach, von wenigen Kuppen abgesehen. Dann stoßen noch zwei dazu, und schließlich weitere, so dass ein großer Pulk entsteht. Jetzt kann man so sparsam fahren wie bei Trondheim – Oslo.

Von Gletsch bis auf den Nufenen habe ich noch erstaunliche 249 Watt im Schnitt getreten, auch jetzt bin ich noch nicht ganz platt und halte mich gut in der Gruppe. So fahren wir bis Airolo, und biegen dort zur Verpflegungsstation ab. Die ist eher dürftig bestückt, aber es gibt Bananen. Warum das einzige ausgeschenkte Getränk Cola ist, wie an den anderen Stationen auch, ist mir unklar. Problem ist, wenn man was anderes trinken will muss man an dem Kanister anstehen an dem die Fahrer ihre Flaschen befüllen. Ich esse noch so ein abgepacktes „Ding“, was immer das auch ist, man kann es essen…

Da ich mein einziges Sponser Gel schon am Nufenen verschossen habe stecke ich mir zwei Nutrixxion Gels ins Trikot, auch einen Riegel. Der war geschmacklich bei der Probe ganz ok, allerdings fällt es mir schwer was Festes zu essen beim Fahren, so dass ich den von der letzten Verpflegungsstation auch noch im Trikot habe.

Ich fahre weiter, und komme in Airolo an dem Cafe vorbei wo ich letztes mal Mittagspause gemacht habe. Am liebsten würde ich mich dort einen Moment hinsetzen und ausruhen, Cappucino trinken, mit der Bedienung flirten, aber natürlich geht es weiter. Vielleicht hätte ich das machen sollen. Denn schon auf diesen ersten Kilometern merke ich, dass es jetzt hart wird.

Schnell findet sich die eigentlich ersehnte Gruppe zusammen, und wir fahren auch ganz gut. Je länger wir jedoch fahren, desto schwieriger wird es für mich. Statt das Tempo konstant zu halten, knallt der eine oder andere, der die Führung übernimmt dann plötzlich mit 350 Watt oder mehr rein. Anfangs nehme ich das in kauf, doch dann baue ich so gegen Ende des ersten, recht flachen Teils immer mehr ab, beim Führen trete ich nur noch 250 Watt, und gebe dann eher früh ab.

Ein Fahrer geht immer mit 380 Watt los, und an den ersten Steigungen muss ich abreißen lassen. Mist. Ich trete nur noch um 200 Watt und fühle mich schlecht. Was für verrückte Gedanken ich mir gemacht habe, von wegen unter 11 Stunden und so. Dabei habe ich nicht die geringste Chance überhaupt die 12 zu schaffen. Es geht im Prinzip nur darum die Karenzzeit zu schaffen und, d.h. um 19:50 auf dem Sustenpass sein. Wie ich den überhaupt hochkommen soll, habe ich nicht die geringste Ahnung.

Jetzt wird es langsam richtig hart. Der Typ der mich aus der Gruppe gefahren hat lässt kurze Zeit später selbst abreißen, was für ein Idiot. Herzlichen Dank! Naja, letzlich bin ich ja selbst schuld, dass ich so einknicke. Wie kann man nur so blöd sein und so brutal sein Pulver verschießen am Anfang. Obwohl ich genau wusste was passiert.

Nachdem wir abgebogen sind und jetzt in die andere Richtung im zweiten Teil des Passes fahren gibt es wenigstens ab und zu Schatten. Die Sonne knallt ganz gut, und ich vefluche diese verdammte Helmpflicht, so ein Schwachsinn. Mit meiner Mütze wäre ich jetzt vor der Sonne geschützt, mein Kopf würde nicht so glühen, und das Schweiß- Sonnencremegemisch würde mir nicht ins linke Auge laufen. Ich fahre einige Kilometer mit geschlossenem, beißenden linken Auge. Die Leistung ist auf 180 Watt gesunken. Immer mal wieder überholt mich einer oder eine kleine Gruppe. Ich leide. Das ist schlimmer wie der Jaufenpass beim Ötztaler. Dabei gibt es hier überhaupt keine rechte Steigung. 7% fahre ich gerade und es geht elend. Ich habe eins der Nutrixxion Gels genommen „Cola Lemon“. Es ist mit das Widerlichste was ich je geschmeckt habe. Ich kriege echten Brechreiz. Hat denn noch niemand dieses verdammte Zeug probiert?

Mein Magen ist zum Glück robust. Muss er auch sein, denn nach einer Pinkelpause so 18 Kilometer vorm Ziel, und einem kurzen Stopp bei dem ich an einer Quelle meine Trinkflasche auffülle muss ich fünf Kilometer vorm Ziel nochmal anhalten. Ich quetsche mir tatsächlich noch so ein widerliches Teil rein, obwohl die Wirkung nicht so spektakulär ist wie beim Sponser High Energy. Vielleicht ist es ja nur ein Placebo, da macht es natürlich Sinn, dass es eklig schmeckt.

Ich quäle mich weiter den verdammten Berg hoch, auch die 6% Steigung hier oben macht es nicht besser. Schließlich überhole ich den Typ der mich aus der Gruppe rausgefahren hat, ein, wenn auch sehr kleiner, Triumph.

Und dann kommt endlich, endlich das Hospiz auf der „nicht ganz Passhöhe“, wo die Verpflegungsstation aufgebaut ist. Ich nehme Iso-Getränk (nee, keine Diskussion, her damit), das übrigens ähnlich gut schmeckt wie mein Sponser Iso-Getränk, ich will ja nicht Nutrixxion hier schlecht machen. Außerdem gibt es Bouillon, Orangen, Bananen, und Brot mit Käse, und Schokolade.

Irgendwie muss ich mich wieder hinbekommen, ich versuche zu essen was nur irgenwie reingeht, und zu trinken mehr als reingeht. Außerdem wasche ich das klebrige Gel vom Rad, denn selbst die Schaltbremsgriffe haben widerlich geklebt. Ich stecke mir noch ein Nutrixxion Gel ins Trikot, diesmal eins für Laktoseallergiker. Ich bin zwar nicht allergisch gegen Laktose, aber definitiv gegen den Geschmack von „Cola Lemon“…

Jetzt in der Abfahrt die Kohlenhydrate aus dem Essen verarbeiten, und irgendwie regenerieren. Auf den letzen Metern im Aufstieg habe ich beschlossen, dass ich versuche den Oberalppass mit Würde zu nehmen und dann in Andermatt aufgebe. Ich habe nicht die geringste Idee wie ich den Susten in dem Zustand meistern soll. Keine Chance.

Auf der Abfahrt finde ich bald einen Partner, der noch etwas besser drauf ist als ich, so dass ich oft von seinem Windschatten profitiere. Ich versuche immer mal meinen guten Willen zu zeigen und etwas Führungsarbeit zu leisten, aber ich kann immer noch keine vernünftigen Wattzahlen treten.

Die Abfahrt macht trotzdem Spaß, da wo es nix mehr zu treten gibt bin ich auch richtig schnell, aber die Strecke gibt kaum echten Highspeed her, dafür haben wir zu starken Gegenwind.

Kurz vorm Gegenanstieg in Richtung Disentis ist immer noch die Baustelle, kurz danach halte ich an und ziehe meine Windjacke aus. Die beiden Anderen, die mit mir in der Abfahrt gefahren sind ziehen etwas davon, und ein paar weitere, die wir eingeholt haben, ebenfalls. Ich trete jetzt wieder 250 Watt und beschließe nur noch mein Ding zu fahren, unabhängig von anderen Fahrern. Den Oberalppass will ich noch schaffen.

Die 250 Watt sind gar nicht so schlecht, denn nach und nach hole ich die Anderen wieder ein, einige erst in Disentis, aber egal. Ich versuche einfach konstant meine Leistung zu treten, wenn es über die 250 hinaus geht, schalte ich lieber und fahre 230 oder so. Und das scheint gut zu funktionieren. In den flachen Passagen fühle ich mich damit sehr wohl, hoffentlich funktioniert das auch in den steileren Abschnitten.

Überraschenderweise lasse ich so Fahrer um Fahrer hinter mir. D.h. hier scheinen doch einige Probleme zu haben, so wie ich schon am Lukmanier. Hoffentlich kann ich das so durchziehen. Die letzte lange Gerade, und die Serpentinen sind schon Kampf, aber ich trete immer so um die 230 Watt, und setze mich damit letztlich gegen praktisch alle Fahrer die mir jetzt begegnen durch. Zwei, drei haben mich vielleicht überholt und sind auch vor mir geblieben. Dabei kümmere ich mich gar nicht um die anderen Fahrer, sondern fahre nur mein Ding.

Oben gibt es den erwarteten Gegenwind, nicht ganz so heftig wie letztes mal, aber doch so, dass ich ihn mal anfluchen muss. Allerdings hat man durch die Kehren dann manchmal etwas Schub von hinten. Und tatsächlich komme ich irgendwann oben auf der Passhöhe an. Ich fülle meine Flaschen auf, esse was reingeht, vor allem Brot mit Schokolade und Bananen. Dann Windjacke an und runter nach Andermatt.

Die Abfahrt läuft gut, die Strecke ist mir ja vertraut, aber zu gerne würde ich am Fuße des Passes einfach in mein Hotel gehen, duschen und schlafen. Aber diesmal ist mein Hotel in Meiringen, immer noch weit weg.

In Andermatt wird man durch das ganze Dorf geleitet, und es gibt nochmal eine Verpflegungsstation, die lasse ich aber links liegen und biege ab Richtung Schöllenen Schlucht und Wassen. Das mit dem Aufgeben habe ich irgendwie vergessen.

Noch immer denke ich nicht wirklich an den Susten, nur ab und zu blitzt im Hinterkopf diese lange steile Gerade auf. Unmachbar.

Hinunter nach Wassen ist extrem viel Verkehr. Noch mehr als auf dem Rest der Strecke. Und nach wenigen hundert Metern hänge ich im Stau hinter einem Bus. Man darf die Mittellinie nicht überfahren, so fahre ich rechts an den Autos vorbei, die hinter dem Bus hängen, und hoffe einfach, dass die mich sehen und mich nicht in die Leitplanken quetschen. In einer Serpentine schnappe ich mir den Bus. Wie gut, dass das meine Mutter nicht gesehen hat…

Da ich die Mittellinie nicht überschreiten will, und ab und zu Streckenposten am Straßenrand sitzen, quetsche ich mich eben so vorbei. Links oder rechts, so wie es passt. Nach einem Kreisel bei Göschenen biegt der Verkehr eh auf die Gotthardautobahn ab, und ich habe freie Fahrt bis Wassen, so dass ich noch meine Windjacke ausziehen kann.

In Wassen geht es links ab zum Susten, nochmal eine Zeitmessung, dann ab in den Berg. Ich wende die gleiche Philosophie an wie beim Oberalppass. Immer so um die 230 Watt, wenn es mehr wie 250 Watt werden, nehme ich mich etwas zurück. Und das klappt hier genauso gut. Das es im unteren Teil auch ein paar flachere Stücke gibt hatte ich komplett vergessen. Allerdings kann ich die jetzt auch wieder als solche wahrnehmen, da die Beine endlich wieder funktionieren.

Auch hier sammele ich Radfaher um Radfahrer auf. Ganz klar, ich bin sehr dumm mit meinen Kräften umgegangen, und die, die jetzt hier fahren hätte ich eigentlich abhängen sollen. Aber das ist mir komplett egal. Ich hoffe einfach nur, dass ich das noch etwas weiter durchhalte, gehe aber fest davon aus, dass ich nochmal eine Pause einlegen muss.

Auch dienen mir die anderen Fahrer nicht als Motivationshilfe oder Ziele, selbst der ein oder andere Mountainbiker ist mir egal, ich konzentriere mich nur auf das Wattmeter.

So geht es relativ gut voran. Ich leide nicht so wie am Lukmanier, und bin regelrecht erstaunt, das der Susten mich so gewähren lässt. Der lange, kehrenlose Abschnitt bis zu den Serpentinen ist schon elend lang, aber nach wie vor kann ich um die 230 Watt treten. Ich will vor 19:15 Uhr ankommen, damit ich nicht in den Besenwagen muss (das die Karenzzeit eigentlich 19:50 Uhr ist, hatte ich nicht mehr recht präsent). Finishen ist mein einziges Ziel, die Zeit ist mir völlig schnuppe.

Als Ziel für eine mögliche Pause habe ich mir das Sustenbrüggli gesetzt, danach macht die Straße einen Knick, und dann kommt noch ein langer kehrenloser Abschnitt bis zu den letzten zwei langen Kehren zum Passhöhentunnel. Der Weg dorthin zieht sich, aber ich halte durch. Jetzt fühlt es sich so an wie am Timmelsjoch beim Ötztaler, treten, treten, treten. Irgendwie. Allerdings trete ich, glaube ich, sogar eine etwas höhere Leistung als dort letztes Jahr.

Psychologisch bin ich wieder so stark, dass ich die Länge der Gerade gut wegstecke, und auch die langen Abschnitte zwischen den Kehren. Ich habe meinen Kampfgeist wieder und trete immer noch meine Leistung, jetzt sogar oft mehr in Richtung 250 Watt.

Und dann ist er da, der Tunnel. Ich kanns kaum glauben, aber ich habe den Anstieg tatsächlich geschafft. Ich muss einfach laut schreien im Tunnel. Wie geil. An der Verpflegungsstation fülle ich mir noch mal – richtig – Iso-Getränk in die Flasche, und esse Brot mit Schokolade und Orangen. Die Zeit ist mir total egal.

Dann aber in die Abfahrt, und die macht schon Spaß. Am Abfahren hat es heute wirklich nicht gelegen, ich schnappe mir Radfaher und Autos, einen Bus und alles was eben im Weg ist. Gerade denke ich noch, dass meine Beine eigentlich überhaupt nicht krampfen, nicht mal andeutungsweise, als das rechte Bein sich dann doch so latent in die Richtung meldet. Am Anfang vom Susten hatte das linke Knie kurz gegrummelt, und die rechte Kniekehle kurz gezwickt, was ich völlig verständlich fand, aber nach einer Minute war das weg. Jetzt könnte sich da was Krampfartiges, ausgehend von der rechten Kniekehle entwickeln. Also noch bin ich nicht im Ziel.

Die Abfahrt vom Sustenpass

Ich denke kurz nach, und das einzige was mir einfällt ist es eben die Belastung genauso zu gestalten wie im Aufstieg, also so in Richtung 250 Watt zu treten. Genau das hilft, und so bleibt es bei einer Andeutung. Im Gegenteil, ich kann jetzt sogar wieder Richtung 290, 300 Watt treten. Erstaunlich.

Unten in Innertkirchen angekommen, schaffe ich es gerade noch über die Bahnschranke zu kommen, bevor diese zugeht, sonst hätte ich da nochmal dumm gestanden. Das flache Stück bis zu der kleinen Steigung an der Aaresschlucht geht gut, ich trete immer so um die 280 Watt und treffe dann im Anstieg zwei Fahrer, von denen der Erste den Zweiten ins Ziel zieht, und der Zweite hat offensichtlich genau meinen Erschöpfungszustand, so dass ich mich einfach hinten dranhänge und bis kurz vor der Kuppe dranbleibe.

Die letzte Abfahrt nach Meiringen läuft herrlich, jetzt bin ich wieder gut erholt, und könnte wieder halbwegs vernünftig einen Berg fahren. Zum Glück kommt aber keiner mehr. Die letzten Meter gibt’s nochmal richtig Tempo, und dann ist auch schon die Ziellinie überquert.

Zieleinfahrt nach zwölfeinhalb Stunden

Ich habe das Ding tatsächlich gefinisht. in 12:26:59 Stunden. Zwar eine Stunde mehr, als mein Körper drin hat, aber einfach weil der Kopf zu blöd war. Ist mir aber komplettt wurscht:
Alpenbrevet Platinrunde, 276 Kilometer, 7031 Höhenmeter – gefinisht. Ich freue mich sogar über das Finishershirt und mache (lasse machen), nach dem Foto vom Start, mein zweites Foto für heute…

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4 Kommentare

  1. Anonymous 15. August 2011

    Ganz stark, Guido! Fantastisch, wie Du trotz der extremen Körnervernichtung am Anfang diese Tortur durchgestanden hast. Chapeau!!! Und Dein Bericht: Wie immer klasse, spannend, aufschlussreich für jeden ambitionierten Hobbyradler! Gute Regeneration wünscht Dir Volker

  2. tom 17. August 2011

    Extra manni! Dä s’esch primma schenn!

  3. Anonymous 2. August 2012

    Gratuliation zu der Leistung! Es ist immer schön solche Berichte zu lesen. Allerdings frage ich mich, wie du die Wattzahlen der anderer Teilnehmer bestimmt hast. Hast du sie jeweils gefragt wieviel sie gerade drücken 😉

  4. Guido 2. August 2012

    Die Wattzahlen der anderen habe ich geschätzt anhand der Leistung die ich bringen musste um zu folgen. Da ich dabei von meinem, für Radfahrer, doch recht hohen Gewicht ausgehe, kann das schon mal um 30 Watt oder so abweichen. Den Windschatteneffekt schätze ich auch ab, der hängt natürlich von den Bedingungen ab und der Position an der man gerade in der Gruppe fährt. Aber eine Größenordnung kann man schon abschätzen anhand der eigenen Daten.

    Manchmal vergleiche ich aber auch wenn ich andere Fahrer mit SRM sehe und frage die einfach was sie gerade treten.

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