steilberghoch

Ultracycling und Alpenpaesse

Col de la Bonette – Cime de la Bonette

Ganz gegen meine Gewohnheit wache ich heute morgen nicht vor dem Wecker auf. Das hatte ich glaub‘ ich noch nie wenn ich mich auf einen neuen Pass gefreut habe.

Vielleicht liegt es daran, dass sich eine herannahende Erkältung bemerkbar macht. Schon seit drei Tagen merke ich so leichte Symptome, jetzt ist endgültig die Nase zu und der Hals fühlt sich nicht so richtig gut an. Vielleicht kommt das aber auch vom Zeitfahren in Schotten, wo ich am Schluss wie eine schnaufende Dampflok nach Luft geschnappt habe.

Anyway, die obligatorische U.R.I. gehört beim Ausdauersport wohl ein, zwei mal im Jahr dazu.

Trotzdem sitze ich ganz gut gelaunt um 7:36 Uhr am Frühstückstisch. Da meine Erwartungen nicht sehr hoch waren konnten sie auch nicht enttäuscht werden. Immerhin gab es Cornflakes und ich schnappe mir die einzige Scheibe Käse um sie auf dem streng rationierten sehr weißen Weißbrot zu platzieren. Aber es gibt sogar Obstsalat und natürlich das obligatorische Croissant. Das wird wohl reichen um den Col de la Bonette zu bezwingen.

Draußen ist es ganz schön kalt, und so packe ich neben der obligatorischen Regen-/Wind-/Abfahrtsjacke noch die Knielinge und die Unterhelmmütze ins Trikot. Als ich dann um kurz vor halb neun am Kilometer Null der Auffahrt stehe bin ich auch ganz froh, dass ich die Sonnenschutzarmlinge zum Schutz der immer noch lädierten Stellen angezogen habe, denn mit 6° C schon hier unten auf gut 1100 Metern Höhe erwarten mich oben auf 2800 Meter Höhe sicher keine hochsommerlichen Temperaturen.

Zeit habe ich mir nicht wirklich eine vorgenommen, die schnellste eingetragene Zeit bei quaeldich.de für die Auffahrt von Jausiers ist 1:29 h, also denke ich mal 1:50 h sollte gut drin sein. Die Zeit ist mir aber egal, nur über zwei Stunden will ich natürlich nicht fahren.

Bis zum Startpunkt der Auffahrt hatte ich vom Hotel aus ziemlich genau einen Kilometer Anfahrt, zum Warmfahren eigentlich zu wenig, aber die Steigung ist zunächst moderat. Ich fahre so gut 300 Watt, vielleicht ein bisschen mehr, damit sollte ich einigermaßen hinkommen.

Trotz der etwas kühlen Temperaturen ist das Wetter fantastisch. Blauer Himmel und Sonnenschein. Meine Laune hebt sich schnell. Und schon nach einem Kilometer kann ich die mich umgebende Alpenlandschaft in vollen Zügen genießen. Der Unterschied zum Trainieren oder gar Wettkampf ist doch krass. So liebe ich das, morgens alleine der Passhöhe entgegen fahren. Ich spüre, das könnte ein guter Tag werden.

Es ist kaum Verkehr, eigentlich gar kein Verkehr. Die Motorradfahrer sind jetzt noch nicht mal am frühstücken, und auch Autos gibt fast gar keine auf der Strecke.

Zwei Dinge gefallen mir an französischen Alpenpässen sehr gut. Erstens gibt es häufig, zumindest im unteren Bereich, einen Radfahrstreifen. Und zweitens gibt es meist jeden Kilometer ein Schild mit den Restkilometern bis zur Passhöhe und der durchschnittlichen Steigung der Reststrecke.

Ja und drittens ist die Landschaft meist spektakulär. Einen Pass um des Passes willen zu fahren erlaubt es das so richtig zu genießen. Da die Beine gut sind, und ich mittlerweile keine Zweifel wie bei meinen ersten Passauffahrten mehr habe ob ich die Strecke denn schaffe oder nicht, freue ich mich über jede neue Aussicht, die sich nach einer Kurve oder Kehre bietet.

Und immer wieder gibt es herrliche Ausblicke auf die umliegenden Berge mit strahlend blauem Himmel als Hintergrund.

Schon nach drei Kilometern spüre ich wie ich abschalten kann, was mir sonst selten gelingt. Das letzte mal so richtig am Mont Ventoux und Pico Veleta, also ziemlich genau vor einem Jahr. Keine Gedanken an Radrennen, Zeiten, Stürze, Material, Sitzposition, kein schlechtes Gewissen, weil ich natürlich auch arbeiten könnte, einfach nur berghoch fahren…

Egal ob ich zurück blicke oder nach vorne, die Landschaft ist herrlich, und dabei bin ja noch ganz unten.

Der Straßenbelag ist wirklich gut, und die Steigung bis jetzt nicht böse. Ungefähr bei Kilometer 7 geht es vorbei an ein paar Häusern, hier flacht es etwas ab.

Die Straße ist nicht perfekt gebaut, denn die Steigung schwankt oft ganz leicht, auch außerhalb der Ortschaft, so was würden die Schweizer zum Beispiel kaum machen. Aber mir gefällt das. Auch ist es so, dass nachdem die Steigung angezogen hat, immer wieder ein flacheres Stück kommt an dem man sich entspannen kann. Es gibt Radfahrer die empfinden sowas als „unrhythmisch“, ich mag das allerdings sehr, so kann ich immer wieder etwas regenerieren. Wenn ich gut in Form bin kommt mir das entgegen.

So arbeite ich mich weiter nach oben, immer mit ziemlich konstanter Leistung knapp über 300 Watt. Die Straße führt kurvig weiter und immer wieder bieten sich tolle Ausblicke zurück ins Tal. Dann geht es vorbei an einer beeindruckenden Felswand und man gelangt in einen weiteren Abschnitt dieses Tals, noch immer mit Baumbewuchs, aber der lässt jetzt schon so langsam etwas nach.

Ich bin bis jetzt fast nur im Schatten gefahren und der Garmin zeigt noch immer um die 6° C an. Meine Finger sind recht kalt, vielleicht hätte ich mich doch für die langen Handschuhe entscheiden sollen. Andererseits hilft das natürlich beim Klettern wenn die Temperatur schön niedrig ist, dann vergeudet man nicht so viel Energie mit Thermoregulation.

Auch bei Kilometer 10 fahre ich noch im Schatten, es kommt aber ein sehr schöner Abschnitt. Nur noch wenig Bäume und ich weiß erst gar nicht so recht wo die Straße lang führt, manchmal sieht es aus als ob sie direkt in den Berg führt weil man den Fortgang der Strecke nicht einsehen kann. Die Steigung ist aber recht moderat.

Immer wieder bieten sich die fantastischsten Ausblicke. Die Alpen bieten so vielseitige Landschaften. Und obwohl ich mittlerweile einige davon gesehen habe hauen mich die neuen Eindrücke immer wieder um.

So garstig die Berge sein können, so spektakulär schön und beeindruckend können sie auch sein, wenn man sie mit dem Rennrad erklimmt. (Klar Wandern geht auch, aber Motorrad oder Auto vermittelt nicht mal 10% von dem was die Radfahrer erfahren)

In Serpentinen und Kurven arbeite ich mich nach oben, ab und zu mal ein Blick zurück auf die bereits zurückgelegte Strecke und sonst immer schön um die 300 Watt treten. Geht immer noch gut, allerdings habe ich ja auch noch nicht mal die Hälfte geschafft. Ich habe schon Respekt vor dem was noch kommt, denn da soll es ja noch mal steil werden, ganz zu schweigen von der Cime de la Bonette mit ihren 14% auf dem letzten Kilometer.

Nachdem ich den Ubaye, den zu dieser Jahreszeit kleinen Gebirgsfluss, der dem Tal seinen Namen gab, nochmal überquert habe passiere ich eine Schranke und wechsle etwas die Richtung. Noch immer stehen vereinzelt ein paar hartnäckige Bäume. Und dann eröffnet sich erneut ein wunderbarer Ausblick und ich fahre in der Sonne.

Noch 10 Kilometer bis zur Passhöhe und plötzlich strömt Glücksgefühl durch meinen ganzen Körper. Wie geil ist es hier oben zu fahren. Die Landschaft ist spektakulär, kaum Verkehr, die Beine so gut wie der Straßenbelag, die Sonne scheint, dabei ist es angenehm kühl, besser geht es nicht. Das ist es was ich wirklich liebe am steil berghoch fahren.

Das kann einem kein Rennen, kein Marathon geben, dieses herrliche Gefühl im Aufstieg. Ich muss kurz an meinen ersten Alpenpass denken, was für ein fantastisches Gefühl, oben standen mir die Tränen in den Augen vor Glück. Wer es nicht gemacht hat kann es sicher kaum verstehen.

 Anyway, gerade ist es nur noch Genuss pur, auch wenn die Steigung zwischendurch ordentlich anzieht. Die Beine funktionieren aber super und die Strecke ist der Hammer. Geser schreibt in seinem Passbuch etwas von „kahler Landschaft mit Schutt- und Geröllhalden“, irgendwie scheint sich ihm die Schönheit hier nicht erschlossen zu haben…

Vorbei geht es an einem kleinen See, der Österreicher würde wohl Lacke sagen. Hier flacht die Straße wieder etwas ab, zieht dann aber gleich wieder an und windet sich in Serpentinen weiter nach oben. Den Hinweis auf Schneeketten ignoriere ich und lasse mich von meinem Glücksgefühl weiter nach oben tragen.

Mittlerweile bin ich bei Kilometer 18 angelangt, es ist also noch ein ganzes Stück. Der Straßenbelag ist sensationell gut, die Steigung ordentlich und ich bleibe bei meinen 300 Watt und sauge dabei die Schönheit der Landschaft auf.

An einem Aussichtspunkt sehe ich das erste fremde Rennrad für heute. Allerdings auf dem Radgepäckträger eines Autos. Auch eine Methode, aber meine macht definitiv mehr Spaß.

Dann erreiche ich die verfallenen Steinhütten, die noch aus der Zeit stammen als Napoleon III. die Straße bauen ließ. Auch wenn der Anstoß für den Bau ein militärischer war, trotzdem danke dass ich das hier genießen darf.

Weiter geht es in recht engen Serpentinen bevor die Straße dann nur leicht kurvig am Hang entlang führt. Mittlerweile habe ich ca. 20 Kilometer zurückgelegt. Zu meinem Erstaunen bläst mir hier kein fieser Gegenwind entgegen. Es ist sowieso fast die ganze Strecke schon fast windstill.

Nach dieser langen „Geraden“ geht es um die Kurve und endlich kann ich mein Ziel sehen, die Cime de la Bonette!

Und noch dazu flacht die Straße ab, und zwar soweit, dass ich auf das große Kettenblatt schalten muss um überhaupt meine 300 Watt zu halten. Ich schaue zum ersten mal auf die Uhr und sollte locker unter den zwei Stunden bleiben, vielleicht sogar unter 1:50 h.

Es geht aber nochmal um die Kurve, also ein Stück ist es noch zu fahren bis die Schlusssteigung kommt.

Die ist dann aber wie versprochen ordentlich steil. Ich glaube nicht, dass das durchgehend 14% sind wie behauptet, aber jetzt muss ich schon richtig draufhalten und mit locker hochradeln iss nich‘.  Zum ersten mal geht mein Puls über 170 und mit 300 Watt kommt man hier auch nicht weit.

Aber die Kraft reicht noch zum Fotografieren, und außerdem ist dieser Abschnitt kaum tausend Meter lang.

Und dann ist es geschafft. Ich stehe auf 2802 Metern Höhe. Nach gut 1:43 h. Mann war das geil. Was für eine schöne Auffahrt. Was ich da so gelesen habe, alles Geschwätz, die Leute sind nur sauer weil hier einer ein bisschen gefuscht hat mit dem höchsten Passübergang, aber es lohnt sich wirklich hier hoch zu fahren.

Herr Geser schreibt in seinem Buch „100 Alpenpässe mit dem Rennrad“ von einer „zwar weiten aber nicht berauschenden Aussicht“. Ich weiß ja nicht was der für Mittel gewohnt ist um sich zu berauschen, aber ich finde die Aussicht fantastisch.

Das Wetter spielt mit und ich bekomme das volle Panorama zu Gesicht. Einfach nur geil, und außerdem gibt es einen guten Hintergrund für das Passschildfoto.

Ein anderer Rennradfahrer ist schon oben und genießt den Ausblick. Wie sich herausstellt ein Enländer der in den fanzösischen Alpen lebt. Wir kommen gerade ins Gespräch als der Franzose, den ich eben an einem Aussichtspunkt mit seinem Rennrad auf dem Auto gesehen haben oben ankommt, das Rennrad vom Auto nimmt und an die Passstele stellt. Auch vergisst er nicht seinen Helm daran zu hängen, den er ebenfalls mitgebracht hat. Dann macht er sein Foto. So kann man die Jungs am Stammtisch natürlich auch beeindrucken…

Wenn der wüsste was ihm entgangen ist. Ich muss grinsen. Ziehe mir dann die Abfahrtsklamotten an und mache mich, nachdem ich noch ein paar weitere Minuten die Aussicht genossen habe, in die Abfahrt hinunter in Richtung St. Etienne de Tinee.

Die Schleife Cime de la Bonette ist eine Einbahnstraße, so dass ich im ersten Kilometer keinen Gegenverkehr habe, aber letztlich ist hier überhaupt kaum Verkehr an einem Montagmorgen, so dass auch nach dem Abzweig in Richtung Jausiers die Strecke super zu fahren ist.

Ich halte allerdings schon auf den ersten Kilometern mehrmals an um noch Fotos zu schießen. Denn auch diese Seite des Col de la Bonette ist einfach super schön. Wenn ich stehen bleibe ist es total ruhig, ein paar Murmeltiere pfeifen sich aufgeregt zu, dann sprintet eines direkt vor mir über die Straße.

Noch ein paar mal bleibe ich stehen um zu fotografieren, trotzdem läuft die Abfahrt super, ich fahre ja eher „gemütlich“, da ich die Landschaft genieße, aber die Strecke ist super zu fahren, der Belag klasse, man kommt in einen guten Flow. Keine Spur mehr von der Panikattacke am Jaufen.

In Höhe vom Camp de Fourches, ein paar verfallenen Steinhäusern flacht die Straße etwas ab, dann geht es serpentinenreich ordentlich bergab. Man kann recht weit nach unten schauen und die sich windende Straße sehen, muss ich natürlich auch noch fotografieren, dann genieße ich aber die Abfahrt.

Zwischendurch blitzt schon einmal der Gedanke auf, dass ich das alles ja auch wieder berghoch fahren muss, aber das wird schon. Anfangs habe ich mir sogar Gedanken gemacht ob mir die Höhenmeterdosis heute reicht, die sind allerdings am Anstieg auf der anderen Seite dann doch schnell verflogen…

Als die Waldgrenze erreicht ist, geht es immer am Flüsschen Tinée entlang. Die Strecke ist wirklich super zu fahren, nur kurz wird der Belag mal etwas schlechter und man passiert eine Baustelle,  aber meist ist der Asphalt recht neu.

An einer beeindruckend hohen Brücke muss man links abbiegen und überquert den Fluss. Hier mache ich nochmal einen Fotostop.

Dann rolle ich die restlichen Kilometer nach St. Etienne de Tinee. Hier kurve ich etwas herum und suche mir dann ein Café wo ich etwas die Sonne genießen kann. Es ist erst kurz nach elf Uhr, so dass Mittagessen keinen Sinn macht. Allerdings ist der Anstieg aus dieser Richtung fast zwei Kilometer länger und die schnellste Zeit bei quaeldich.de lag bei 1:57 h. Mit zwei Stunden muss ich also ca. rechnen, d.h. da es auf der Passhöhe keine Gaststätte gibt bin ich niemals vor 14 Uhr an irgendeinem Restaurant auf der andern Seite. Und da Franzosen von 12 Uhr bis 13 Uhr essen und dann Schicht ist, werde ich nichts mehr bekommen. Selbst an so touristischen Orten wie hier in den Bergen wird das nix. Egal, Hunger habe ich noch keinen. Ich lasse es bei einem Café au lait.

Hier in diesem Bergdorf oder Städtchen muss ich mit meinen vier französischen Vokabeln auskommen, aber mit bonjour, s’il vous plaît, merci und café au lait kommt man schon ganz schön weit.

Nachdem ich eine viertel Stunde in der Sonne gedöst habe, völlig mit mir und der Welt zufrieden, noch immer unter dem Eindruck der tollen Auffahrt und der ebenso schönen Abfahrt, mache ich mich auf den Rückweg.

Im Aufstieg heute morgen hatte ich zwei Isostar Gels zu mir genommen, jetzt esse ich einen Sponser High Energy Riegel, damit komme ich schon den Berg hoch. Außerdem habe ja noch zwei weitere Gels, die ich im Anstieg essen werde.

Ab der Brücke am Ortsausgang beginnt der Aufstieg zum Pass, hier starte ich auch die Zeitnehmung. Der Anstieg beginnt sehr moderat, teils geht es recht flach am Tinee Flüsschen entlang.

In diesem Teil überhole ich auch einen anderen Rennradfahrer. Während ich im Anstieg von Jausiers keinen anderen Radfahrer gesehen habe, nur den Engländer an der Passhöhe, sind mir in der Abfahrt doch ein paar begegnet. Auch ein Pärchen die ich als Randonneure einschätzen würde. Das war aber schon ungefähr in der Hälfte des Anstiegs, die noch zu holen könnte schwierig werden, dafür habe ich auch zu lange Pause gemacht.

Heute brauche ich auch nicht unbedingt so rollende Motivationshilfen, dafür macht es einfach zu viel Spaß und die Beine sind zu gut.

Nachdem ich wieder diese hohe Brücke erreicht habe wo ich in der Abfahrt den Fotostopp gemacht habe geht es rechts ab in Richtung Col de la Bonette. Ab hier wird es auch etwas steiler.

Die Strecke ist einfach nur gut. In der Abfahrt habe ich das natürlich schon so empfunden, aber in der Auffahrt, mit deutlich niedrigerem Tempo, kann man das noch viel mehr genießen.

Auch diese Seite ist vorbildlich beschildert. Die Beine arbeiten gut, allerdings habe ich etwas gebraucht bis alles wieder locker und rund läuft. Spätestens an einer weiteren Brücke über den Tinee, wo man wieder die Seite wechselt, kann ich die Leistung wieder in Richtung 300 Watt bringen, insgesamt trete ich aber etwas weniger als beim ersten Anstieg heute morgen.

Vorbei an einem Wasserfall geht es in schönen Serpentinen nach oben. Ich überhole eine Rennradfahrerin die so langsam ist wie sie hübsch ist, ein kurzer Gruß, ein Lächeln, und automatisch trete ich 15, 20 Watt mehr.

So ca. 8 Kilometer sind zurückgelegt, jetzt wird der Straßenbelag etwas schlechter, aber für den Aufstieg kein Problem. Es geht jetzt eher gerade, nur mit leichten Kurven bergauf, man überquert eine kleine Schlucht auf einer schmalen Brücke, noch etwas geradeaus, dann kommen wieder einige Serpentinen.

Hier spüre ich zum ersten mal heute ordentlichen Gegenwind. Dann geht es auf eine kleine Häuseransammlung zu, Bousieyas. Am Ortsausgang sind es noch 13 Kilometer bis zur Passhöhe bei durchschnittlich 7% Steigung.

Ein paar Kurven weiter oben gibt es nochmal ein paar Häuser und theoretisch sogar ein Restaurant. Ich gönne mir stattdessen einen Blick zurück ins Tal. Noch immer finde ich die Landschaft fantastisch.

Auch im weiteren Verlauf steht nochmal vereinzelt ein Haus. Aber genau wie mit den Bäumen ist hier bald die Grenze erreicht, dann gibt es nur noch Steine und Gräser. Noch 11 Kilometer bis oben, und immer wieder mal spüre ich den Wind von vorne. Nach der nächsten Serpentine profitiere ich dann allerdings wieder vom Rückenwind.

Egal ob ich nach vorne blicke oder zurück ins Tal, auch nach anderthalb Anstiegen kann ich mich noch von meiner Begeisterung für die Landschaft tragen lassen. Ich versuche schon meine Leistung zu dosieren, aber der Berg ist an sich gut zu fahren. Und genau wie auf der anderen Seite gibt es immer wieder Stellen die etwas abflachen, so dass man sich gut erholen kann.

Weit oben kann man die Straße sehen, das löst eine Mischung aus „oje, noch ganz schön viele Höhenmeter“ und der positiven Wirkung eines sichtbaren Zieles aus.

Die Straße holt jetzt weit aus und man fährt durch gelbliche Wiesen und zum Himmel hin erheben sich teils schroffe Felsen. Einfach nur geil! (ich wiederhole mich, ich weiß)

Bald sind es weniger als 8 Kilometer bis zum Ziel und nun kommt auch schon das verfallene Camp de Fourches in Sicht.

So langsam ziehen ein paar mehr Wolken auf, aber noch immer kann man weit schauen und die Landschaft präsentiert sich spektakulär.

Jetzt gibt es wieder nur Kurven keine Serpentinen und die Straße schmiegt sich am Hang entlang. Geht der Blick nach links kann man das Ziel, die Cime de la Bonette, sehen. Allerdings gibt es hier jetzt ordentlich Gegenwind und manchmal zieht die Steigung spürbar an.

Ich merke schon, dass es die zweite Auffahrt für heute ist, jetzt muss ich mich doch ordentlich anstrengen.

Über mir kreist ein riesiger Greifvogel und die Felsen am Straßenrand haben phantastische Formen, der blaue Himmel betont die Umrisse noch, der dunkelgraue Kegel der mein Ziel markiert ragt zur Linken auf, und obwohl ich jetzt kämpfen muss kann ich die ganze Schönheit dieses Szenarios noch in mir aufnehmen.

Noch immer sind es über 5 Kilometer bis zur Passhöhe. Die Steigung ist ordentlich, mal kämpfe ich gegen den Wind, aber dann gibt es auch wieder längere fast windstille Abschnitte. Und an einem solchen fahre ich durch eine kleine Schafherde hindurch. Gaaanz laangsaam, denn die Tierchen erschrecken sich etwas vor meinem Rennrad.

Und siehe da, hier so ca. 4 Kilometer vor dem Ziel habe ich die zwei Randonneure doch noch eingeholt.

Dann kommt das 3,5 Kilometer Schild. So langsam könnte der Berg dann doch zu Ende gehen. Vor allem muss ich noch den letzten steilen Kilometer fahren. Aber die Strecke zieht sich noch etwas, flacht dann aber deutlich ab, so dass ich nochmal etwas Tempo aufnehmen kann. Nicht ganz so wie auf der anderen Seite, das große Kettenblatt spare ich mir…

Schließlich zeigt sich die Bonette Schleife nochmal in ganzer Pracht, bevor ich rechts abbiegen muss, da die Strecke ja Einbahnstraße ist.

Dann die letzte heftige Steigung hochgekämpft, nicht mehr mit ganz der gleichen Power wie heute morgen, aber dann ist die Passhöhe zum zweiten mal für heute erreicht. Ein herrliches Gefühl.

Natürlich mache ich auch ein zweites Passstelen Foto. Dann aber erst mal was warmes angezogen. Denn obwohl die Temperatur im zweiten Aufstieg deutlich höher war als im ersten von Jausiers friere ich jetzt doch leicht, da ein eher kühler Wind hier oben weht.

Trotzdem, und auch wenn Herr Geser in seinem schönen Buch schreibt „bei ungeeignetem Schuhwerk geht es gleich in die Abfahrt“ (und nicht auf den Aussichtspunkt hinauf), ignoriere ich seinen Rat.

Mit meinen Radschuhen mache ich mich den gut befestigten kleinen Wanderpfad hinauf auf die Spitze der Cime de la Bonette.

Das Panorama ist einfach großartig. Der Rundblick auf die unterschiedlichen Gebirgsketten, der Blick in die Täler und natürlich der Bick auf die Anstiege die ich heute beide bewältigt habe, ich könnte stundenlang hier oben bleiben und gucken.

Ich mache etliche Fotos und gebe mich kurz der Illusion hin, dass ich diesen tollen Moment irgendwie einfangen, festhalten könnte. Ich weiß es natürlich besser, die Fotos mache ich trotzdem.

Besonders angetan hat es mir der Mont Viso. Kein kleiner Col, nein der ragt deutlich über all die anderen Berge um ihn herum hinaus.

Irgendwann kann ich mich dann aber doch losreißen und gehe wieder zurück zu meinem Fahrrad, das ich unten an der Passstele allein gelassen habe. In den Radschuhen fehlt mir zugegebenermaßen etwas die Eleganz im Abstieg, aber diese Abzüge in der B-Note nehme ich nach dem bisherigen fantastischen Tag locker hin.

Nochmal ein kurzer Blick über das tolle Panorama dann mache ich mich in die Abfahrt zurück nach Jausiers.

Die Abfahrt nach St. Etienne de Tinee war schon wirklich klasse, aber diese Seite toppt das nochmal. Super Straßenbelag, traumhafte Kurven, was für eine Abfahrt. Das ich beim Abfahren so einen Spaß haben würde hatte ich nach den letzten Erlebnissen nicht erwartet. Zwar ist sie meist nicht sehr schnell, da immer wieder mal scharfe Kurven oder Serpentinen die Fahrt abbremsen, aber einfach traumhaft zu fahren.

Zwischendurch mache ich noch den ein oder anderen Fotostopp, der Rest ist nur genießen.

Bei der Haute 2000, schon nur noch 11 Kilometer vor Jausiers, versuche ich wider besseren Wissens mein Glück und wage es um 14:30 Uhr nach etwas essbarem zu fragen. Natürlich gibt es ein fast entrüstetes Nein. So trinke ich noch einen Milchkaffee der nicht schmeckt und den megasüßen ungenießbaren Tarte de framboisier lasse ich nach einem Bissen auf dem Teller liegen.

Auch die restliche Abfahrt kann ich noch genießen, und so komme ich ziemlich zufrieden im Hotel an. Das war ein fantastischer Radtag bei fast traumhaftem Wetter. Ich bin wirklich froh, dass ich die lange Anfahrt in Kauf genommen habe. Nicht nur dass ich mich mit deutlich über 3000 Höhenmetern gut für den Pico Veleta einradeln konnte, der Col de la Bonette hat neben seiner Höhe so viel zu bieten, dass man ihn einfach gefahren haben muss.

Die Strecke ist traumhaft schön, der Straßenbelag fast ausnahmslos sehr gut, und beide Seiten bieten eine fantastische Abfahrt, wobei die Abfahrt nach Jausiers mit zu den schönsten gehört, die ich bis jetzt gefahren bin. Ganz abgesehen von den fantastischen Aussicht die man von der Cime de la Bonette genießen kann.

Von der Erkältung habe ich während der Tour nichts mehr gemerkt. Nur das rechte Knie nervt so ein bisschen, offensichtlich immer noch eine Folge des Sturzes. Letztlich hat es mich nicht behindert, so langsam könnte das aber aufhören.

Das fehlende Mittagessen machte sich dann schließlich doch bemerkbar, so dass mir dieser schöne Moment wie ich ihn vor einem Jahr in Bedoin nach den Auffahrten auf den Mont Ventoux hatte, diesmal verwehrt blieb. Zur Sicherheit buche ich gleich das Abendessen im Hotel, denn auch abends gibt es ein streng eingehaltenes Zeitfenster.

Bei Kamillentee und Wasser versuche ich den Post für das Blog zu schreiben, aber die Buchstaben und Wörter wollen nicht fließen. Ich kaufe mir ein Päckchen Knäckebrot, das beste was es in dem kleinen Laden in Jausiers zu kaufen gibt, und überbrücke damit die Zeit bis zum Abendessen.

So muss ich doch nachts schreiben, und das wo ich doch um 4:30 Uhr aufstehen will, damit ich rechtzeitig in Granada ankomme…

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3 Kommentare

  1. Anonymous 18. September 2012

    Hi Guido,

    wow, das hört sich spitzenmäßig an und so, dass ich auch Lust darauf bekomme. Schöne Eindrücke bekommt man durch deinen Bericht vermittelt, prima, weiter so!

    Lieben Gruß,
    Diana

  2. Anonymous 10. Januar 2013

    Hallo Guido,

    „Die Abfahrt nach St. Etienne de Tinee war schon wirklich klasse, aber diese Seite toppt das nochmal. Super Straßenbelag, traumhafte Kurven, was für eine Abfahrt! Zwar ist sie meist nicht sehr schnell, da immer wieder mal scharfe Kurven oder Serpentinen die Fahrt abbremsen, aber einfach traumhaft zu fahren.“ (Dein Zitat)
    Das kann ich nur bestätigen! Ein Traumpass. Wir sind ihn 2009 gleich 2x gefahren, und beim 2. Mal runter geht es auch viel schneller, da man in den meisten Kurven nicht Bremsen muss.
    Früher (1990…) war die Nordseite richtig Sch—e, mit dicken Schlaglöchern, evtl meint der gute alte Geser diesen Zustand?

    Sportliche Grüße vom Käptn

    • Guido 10. Januar 2013

      Ja das könnte natürlich sein. Die Auflage des Buches „100 Alpenpässe mit dem Rennrad“ die ich besitze ist von 2008.

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