steilberghoch

Ultracycling und Alpenpaesse

Der Berg ruft!

Sonntag 19.07.2009

Ein Blick aus dem Fenster um sechs Uhr morgens macht Hoffnung. Es ist trocken, und die kleine Bergspitze, die ich aus dem Hotelfenster vom Bett aus sehen kann ist wolkenfrei. Die Fingerspitzen fühlen sich immer noch eingeschlafen an. Da hilft nur eines, den Puls hochtreiben um die Durchblutung zu fördern, und das geht natürlich am besten am Pass.


Ich warte bis 8 Uhr, bis es Frühstück gibt (will heißen um 7:50 stehe ich am Frühstücksbuffet). Milchkaffee und Croisant, Baguette mit leckerem Käse aus der Gegend und natürlich Müsli, das sollte genug sein um den Berg ein zweites mal anzugreifen.

Mit dem Auto fahre ich zum Ortsschild Seez, wo der Startpunkt ist. Dort ist auch ein Parkplatz, wo ich mein Auto stehen lassen kann. Ich hatte nicht wirklich daran gedacht hier weg zu fahren, ohne den Iseran nochmal „richtig“, mit Foto am Passchild und Panoramablick auf’s Tal zu bezwingen.


Die Bedingungen scheinen gut, zumindest hier im Tal, allerdings ein paar Wolken gibt es schon noch, und ich nehme mir fest vor, umzukehren falls es regnen sollte. Denn bei Nässe nützen auch die Windstopper Handschuhe nichts, und die Finger haben es eh schon böse abgekriegt gestern.

Da es die ersten Kilometer flach oder bergab zu fahren gilt, ist es wie gestern ein lockeres Einradeln. Ich fühle mich aber nicht ganz so locker wie gestern, obwohl heute ja vielfach bessere Bedingungen herrschen. Aber den gestrigen Tag kann ich natürlich nicht einfach so wegstecken.


Nach einer Weile, als es auch endlich bergauf geht, stellt sich aber der Spaß und der Rhythmus wieder ein. Wie unterschiedlich das Ganze doch bei gutem Wetter aussieht! Es ist einfach fantastisch mit dem Rennrad durch die Alpen zu fahren.




Die ersten zehn, fünfzehn Kilometer vergehen sehr schnell. Ich hatte es von gestern so in Erinnerung, dass es zwei sehr flache Abschnitte zum Erholen gibt. Allerdings lässt der erste doch ziemlich auf sich warten (genau genommen 17 Kilometer). So merke ich bald, dass ich heute nicht so stark bin, wie ich mich die letzten Wochen seit der GB-Tour gefühlt habe. Ich fahre zunächst ungefähr einen halben Gang kleiner wie gestern. Ziel ist es unter drei Stunden zu bleiben, denn die Dreistundenmarke habe ich ja gestern trotz der katastrophalen Bedingungen am Ende, nur um vier Minuten verpasst. Das müsste also locker drin sein.



Die Hände schwitzen leicht in den dicken Handschuhen, mittlerweile scheint ja auch die Sonne, aber das taub-kribbelnde Gefühl geht nicht weg. Mein erstes Teilziel, der Stausee, ist weiter weg wie ich das in Erinnerung hatte, und kurz vor dem Abzweig nach Val d’Isere fällt die Kette vom Kettenblatt. Die ist zwar in einer Minute wieder drauf, aber es ärgert mich sehr, dass sich diese dämlichen Schaltungen ständig verstellen und so viel Pflege brauchen, da ist die Rohloff vom Reiserad echt im Vorteil.

Ich komme dadurch sehr aus dem Rhythmus, was mich doch etwas verwundert, und als ich zwei Kilometer weiter beim Versuch zu fotografieren auch noch die Kamera verliere, was nochmal zwanzig Sekunden kostet, bin ich etwas aus dem Tritt. Das fängt sich zwar wieder, aber ich merke, dass ich heute empfindlich reagiere, was nicht gerade auf eine gute Form hindeutet.




Anyway, am Stausee vorbei und durch die Lawinengallerien und Tunnels erreiche ich schließlich Val d’Isere. Auf dem Flachstück vor dem Ort versuche ich etwas zu erholen, in den Energieriegel zu beißen, ordentlich zu trinken. Leider hatte ich kein Isopulver mehr, und so gibt’s nur Leitungswasser. Aber bisher musste ich weder am Stilfser Joch noch gestern bei der ersten Auffahrt sonderlich viel trinken. Deshalb hatte ich heute die Flaschen nicht mal richtig voll gemacht, was ich jetzt etwas bereue.





Die Passage hinter Val d’Isere hatte ich als überraschend flach in Erinnerung, heute scheint sie mir überraschend anstrengend. Dann kommt die Kehre auf die Gegenseite des Tals, wo zu den 8 bis 10% Steigung gestern noch heftiger Gegenwind hinzu kam. Diesmal ist der Wind zunächst moderat, aber ich muss schon ganz schön kämpfen. Alle 1000 Meter steht ein Schild für die Fahrradfahrer, mit Höhenangabe, Kilometer bis zum Gipfel und einer Angabe zur durchschnittliche Steigung bis zum Gipfel. Letztere schwankt zwischen 5,5 und 8.


Während ich bis gestern die sechs, sieben Prozent Steigungen zum Entspannen von den zweistelligen nutzen konnte, ist es heute nix mit Entspannen. Auch die 6 Prozent scheinen mir wirklich anstrengend zu sein. Das heißt kämpfen. Immerhin hat man hier schon über 35 Kilometer bergauf hinter sich.


Die Temperatur nimmt hier oben deutlich ab, und geht jetzt Richtung Null oder weniger, allerdings scheint die Sonne, der Himmel ist blau, so dass die Bedingungen nach wie vor gut sind. Und es sind nicht nur die Straßen frei von Schnee und Eis, sondern die Schneegrenze ist deutlich nach oben gezogen, so dass die Landschaft völlig anders aussieht als gestern.


Unterwegs überhole ich einige Mountainbiker und auch Reiseradler. Insgesamt sind schon einige Radler unterwegs nach oben, wenn auch nicht ganz so viele wie am Stilfser Joch. Vielleicht bin ich zu schnell gefahren, und habe deshalb zu kämpfen, denn seltsamerweise hat mich noch keiner überholt.

Die letzten Kilometer muss ich wirklich arg kämpfen, natürlich nimmt einem die große Höhe etwas Leistung, aber gestern war der verdammte Berg doch genauso hoch?? Als das Schild kommt, das den letzten Kilometer anzeigt, muss ich für eine Minute anhalten und durchschnaufen. Auf der Uhr steht zweipaarundfünfzig. Aber mir fehlt die letzte Kraft um jetzt noch um die Zeit zu kämpfen. Jetzt überholt mich der erste Rennradler. Ich fahre weiter und hänge mich etwas dran, der andere kämpft genauso wie ich. Irgendwie ärgert mich das, denn am Stilfser Joch war ich auch in der letzten Kehre noch extrem frisch, und gestern wäre ich bei normalen Bedingungen sicher deutlich unter drei Stunden gefahren. Aber was soll’s, seit gestern weiß ich, dass es manchmal auch klug ist vernünftig zu handeln, und so halte ich fünfhundert Meter vor dem Ziel noch mal für ein paar Sekunden an, dann sehe ich aber die letzte kleine Kurve und den Teil den ich gestern mit dem wegfliegenden Fahrrad wegen Eis und Wind schieben musste.

Das gibt nochmal die benötigte Motivation und so erreiche ich schließlich das Passschild. Auf der Uhr des Fahrradcomputers steht 3:01 Stunden. Aber ich ärgere mich überhaupt nicht. Es ist letztlich völlig egal ob 2:59 oder 3:01. Drei Stunden für den Col de l’Iseran ist völlig in Ordnung.

Auf dem Gipfel sind viele Motorrad- und Autofahrer und auch etliche Radfahrer. Einem drücke ich die Kamera in die Hand und so gibt es das Finisherfoto:


Zu meiner Überraschung (und im Gegensatz zur Behauptung im Pässebuch) gibt es hier oben doch einen Souvenirladen in dem Haus an dem ich gestern verzweifelt versucht habe Schutz zu finden. Und man kann dort sogar etwas zu trinken kaufen, denn der gute Liter Wasser den ich dabei hatte, war deutlich zu wenig.


Das Panorama kann man als Radler nicht so richtig lange genießen, da es trotz Sonne bitter kalt ist. So ziehe ich die Jacke für die Abfahrt über und mache noch ein Bild am Schild um den verdammten Berg nochmal mit einer Orangina zu grüßen.


Dann geht es hinunter zur 45 Kilometer langen Abfahrt. Nach zwei, drei Kilometern gibt es einen Aussichtspunkt, denn ich beim Aufstieg natürlich ignoriert habe. Hier genieße ich nochmal das Alpenpanorama und wärme die Finger wieder auf, die bei der Abfahrt trotz der Handschuhe schnell wieder kalt werden, denn hier oben herrschen Minusgrade.



Nach ein paar Fotos geht es weiter, bis zu der Stelle an der mich gestern der nette Straßenarbeiter rausgelassen hatte. Hier kommt gerade ein Rennradler in Richtung Gipfel vorbei, der mich unbedingt vor dem Alpenpanorama fotografieren möchte. Ich glaube er suchte eine Vorwand für eine kleine Pause…


Auf der Abfahrt begegnen mir einige Radler die sich nach oben kämpfen, man grüßt dezent und freut sich, dass man es schon geschafft hat und gerade locker bergab rollt.

In Val d’Isere nutze ich das Halligalli, und kaufe mir eine mir unbekannte französische Knusperspezialität an einem der dort aufgebauten Marktstände. Sehr lecker, aber der Appetit ist durch die Anstrengung begrenzt, und so reicht es nur für die Hälfte. Ich will auch möglichst schnell runter ins Tal, wo es deutlich wärmer ist. (außerdem ist der ganze Ort mit Walzermusik beschallt)


45 Kilometer Abfahrt ist ganz schön lange. Da ich ein eher vorsichtiger Abfahrer bin, fahre ich selten über fünfzig, außerdem sind die Straßen teils auch recht ruppig zu fahren. Aber ein guter Abfahrer kann hier an einigen Stellen sicher die hundert knacken.

Nachdem der Stausee erreicht ist, halte ich nochmal für ein Panoramafoto an. Dann geht’s ohne Fotostopp bis runter. Alpenfotos gibt’s eh Millionen, und ich will einfach die Abfahrt genießen. Natürlich achte ich sehr auf die Finger und bewege sie häufig und intensiv, um das mit den Fingerkuppen nicht noch schlimmer zu machen. Nachdem eine gewisse Höhe unterschritten ist, ist es auch schön warm, so dass der Fahrtwind kein Problem mehr darstellt.


Die letzten paar Kilometer geht es ja teilweise sogar ein bisschen bergauf, und ich merke, dass das zwei ganz schön anstrengende Tage waren. Anyway, irgendwann ist der Parkplatz erreicht, und nach einer kleinen Runde durch Seez zum Ausfahren sitze ich bei strahlendem Sonnenschein und 26° am Auto um mich umzuziehen. Wie geil, zweimal hintereinander habe ich den Col de l’Iseran in ordentlicher Zeit bezwungen!

Jetzt kann ich sieben, acht Stunden im Auto regenerieren….

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