steilberghoch

Ultracycling und Alpenpaesse

Gotthard und Nufenen

Ein Blick aus dem Fenster heute morgen bestätigt nur die Vorhersage, die „wechselhaft“ lautete. Gestern nachmittag saß ich zwar bei strahlendem Sonnenschein draußen und habe meine frischen Urner Rösti mit Spiegelei gegessen, aber dabei konnte ich auf die mit Puderzucker bestreuten Bergspitzen rund um Andermatt schauen. Dabei sind die keine 2000 Meter hoch. Der Hotelier meinte zwar auf den Pässen würde kein Schnee liegen, die wollten den Leuten im Radio nur Angst machen, aber mein Plan ist es ja zunächst Gotthard  und Nufenen zu fahren, und der Nufenen ist mit 2478 Metern der höchste Alpenübergang der Schweiz.

Ich gebe also nichts auf die Sprüche des Hoteliers und ziehe lange Hosen an und nehme die dicken Gore Handschuhe. (aus Erfahrung wird man klug!?)

In dem Moment wo ich auf das Fahrrad steige kommt dann prompt die Sonne durch. Und so bereue ich meine Entscheidung schon am ersten Berg. Und das ist erst mal der Gotthard von der leichten, also der Nordseite. Leicht deshalb, weil ich in Andermatt starte. War für mich logisch, da hier eben die Passstraße anfängt, aber man kann auch in Wassen oder gar Amsteg starten, dann bekommt das Ding eine ganz andere Länge, und man muss die 10% Kehren durch die spektakuläre Schöllenenschlucht noch zusätzlich meistern.

Aber rein logistisch würde der lange Anstieg nicht in mein Konzept passen, denn ich will ja heute und morgen jeweils zwei Pässe beidseitig befahren, drei davon sind Teil der Platinrunde des Alpenbrevets

Mein Ruhepuls heute morgen war ganz ok, so dass ich mir erst mal keine Sorgen um meinen Regenerationszustand mache. Wie es natürlich am dritten und vierten Anstieg aussieht sehe ich dann.

Jetzt wünsche ich mir erstmal kurze Hosen, und die Helmmütze wurstele ich mir auch während der Fahrt vom Kopf, denn es ist viel zu warm, jedenfalls berghoch. Und dass, obwohl es kaum 10° C waren beim Start.

Die Straße ist gut ausgebaut, und die erste Serpentine weit, alles noch ganz easy. Aber auch dieser Berg ist kein Kinderberg. Die Steigung liegt dann so bei ca. 10% und bleibt auch recht konstant dabei.

Ab und zu kann ich ein paar Radler überholen, aber alles Tourenradler oder Mountainbiker, so dass die wenig als Motivationshilfen taugen. Ich bin allerdings hauptsächlich froh, dass es nur „normal anstrengend“ ist, und ich nicht irgendwie platt bin von den letzen Tagen. Auch der Puls geht ordentlich nach oben. So fahre ich etwas gedankenverloren die Steigung hoch, meist geht es leicht kurvig am Berghang entlang, nur eine, auch wieder recht weite, Kehre bringt nochmal etwas Entlastung.

Weiter vorne kann man schon einen kleinen Durchgang erkennen, ob das schon die Passhöhe ist? Wäre mir gerade recht, denn ich schwitze sehr in meinen zu warmen Klamotten, und so langsam ist auch mal gut mit 9 bis 10%.

Als ich nach weiterem Gekurbel die vermeintliche Passhöhe erreiche, muss ich feststellen, dass sich die Straße hier gabelt. Bis ich kapiert habe, dass hier die alte Passstraße abzweigt ist es schon zu spät und ich fahre weiter auf der neuen autofreundlichen. Aber egal, die ist sogar etwas steiler und führt zunächst durch eine lange Lawinengallerie. Aber auch die Passhöhe ist nicht mehr weit. Die Felsen links und rechts hier oben wirken kahl, fast brutal.

Die neue Straße hat konstant etwas mehr wie 9% und ich werfe ab und zu einen neidischen Blick auf die fast flache alte Straße, aber die muss ja auch irgendwann die Höhenmeter holen, also ist das wohl ziemlich egal.

Oben angekommen drücke ich einem Holländer die Kamera in die Hand, und nachdem er drei mal seine Schuhe gefilmt hat, findet er endlich den richtigen Auslöseknopf und es gibt ein ordentliches Passschildfoto.

Ich ziehe mir die Abfahrtsklamotten an und stürze mich in die Abfahrt hinunter nach Airolo. Natürlich die neue Straße, denn die Tremola mit dem Kopfsteinpflaster ist für die Abfahrt sicher die falsche Wahl.

Aber es gibt noch andere Argumente für die neue Straße. Die spektakuläre Aussicht vor allem. Der erste Aussichtspunkt haut mich echt um. Der Blick hinunter nach Airolo und das Valle Leventina ist atemberaubend. Auch der Blick auf die Gotthardpasstraße(en) und die spektakulären Brücken unten im Ort. Nur geil! Ähnlich spektakulär wie der Blick vom Grimselpass hinunter nach Gletsch.

Ich mache keine weiteren Fotos, obwohl sich nochmal ein Blick in Richtung Bedrettotal auftut, der so gut ist, dass man das einfach nicht fotografieren darf. Und immer wieder atemberaubende Blicke ins Leventina Tal. Eine super Abfahrt.

Der Belag ist allerdings nicht so super. Geht zwar, aber immer wieder Querfugen und anderes Ungemach, so dass man nicht dem Gefälle entsprechend hinuntergeißeln kann. Aber egal.

Auf der Passhöhe war es schon sehr kühl, aber die Abfahrt kühlt mich richtig ab. Noch während dem Fahren beschließe ich, mich in Airolo erst mal aufzuwärmen und vielleicht einen Kaffee zu trinken. Aber am Ortseingang angekommen steht auch schon gleich das Schild zum Nufenen, und so fahre ich nicht nach Airolo rein, sondern ziehe nur alles an warmen Klamotten aus was geht, inkl. Handschuhen und mache mich nach einem Energieriegel gleich in den Aufstieg zur Nufenenpasshöhe. Das wärmt schließlich auch, und auf der Abfahrt konnte ich mich gut erholen. Selbst den Riegel esse ich nicht wegen Hunger, sondern weil ich denke ich sollte Kohlenhydrate zuführen. (so schmeckt er dann auch…)

Anfangs geht es nach ein zwei steileren Stücken noch recht flach mit ca. 5% aufwärts. Die Auffahrt ist allerdings 23 Kilometer lang und gewinnt dabei über 1300 Höhenmeter, also das wird schon noch steiler. Doch zunächst geht es durch das schöne Bedrettotal und zur rechten kann man noch zur neuen Gothardtpasstraße hochblicken.

Es geht durch einige Ortschaften, wobei sich flachere Stücke und 8 bis 9% Steigungen abwechseln. Die Landschaft ist recht idyllisch, sieht aber gar nicht recht nach Passstraße aus.

Kurz bevor die Straße über eine Brücke auf die andere Seite des Bergbaches wechselt ist dann aber Schluss mit lustig, und es geht recht konstant mit 9,5 bis 11 % Steigung berghoch. Und zwar spätestens ab All Aqua ohne Pause.

Dann hören die Bäume auf und die Gegend wird etwas kahler, auch kann man jetzt in der Ferne das Gebirge sehen wo irgendwo die Passhöhe sein muss. Aber es gilt noch eine lange, eher gerade Strecke zu überwinden, die mich sehr an den Sustenpass von Wassen aus erinnert. Vor allem ist es ähnlich anstrengend.

Eigentlich fühle ich mich ganz gut, so gut jedenfalls wie man sich mit 18 Kilometer Alpenpass bergauf fühlen kann, aber dummerweise bläst mir heftiger kalter Gegenwind entgegen. Weiter unten fuhr man noch recht geschützt, aber hier oben macht sich das sehr stark bemerkbar. Ich muss wirklich heftig gegen den Wind ankämpfen. Nach endlos erscheinendem Kampf gegen Steigung und Wind kommen dann endlich Serpentinen. Doch meine Rechnung geht nicht auf, auch nach der ersten Serpentine habe ich noch Gegenwind! Hä, wie geht das denn?

Wie auch immer, dann folgen wieder etwas längere kurvige Abschnitte ohne echte Serpentinen, natürlich mit Gegenwind, der übrigens sehr kalt ist. Zwar würden die Beine immer noch lieber in kurz fahren, aber den Reisverschluss vom Trikot habe ich trotz Anstrengung zugemacht.

Dann kommen weitere Serpentinen, die doch immer etwas Abwechslung und vor allem tolle Aussichten bieten. Das mit dem Rückenwind in die eine Richung klappt dann auch mal zwischendurch. Aber die Hauptrichtung ist halt gegen den Wind.

Nach dem letzten Serpentinenabschnitt kommt nochmal eine lange, lange „Gerade“ aber auch die geht zu Ende, und da ist dann auch das Passschild. Es ist bitter kalt, da ich ja jetzt komplett durchgeschwitzt bin und der Wind eiskalt über die Passhöhe pfeift. Gefühlt ist es also viel kälter als die 6°C auf dem Thermometer aussagen. Die Schneereste von gestern kann man übrigens noch sehen…

Da niemand am Passschild ist mache ich das Foto mit Selbstauslöser, denn schließlich habe ich ja die defekte Kamera jetzt mit dem Nachfolgemodell ersetzt!

Ich überlege kurz hier oben was zu essen und Mittagspause zu machen, beschließe dann aber das eher in Ulrichen zu tun und erst mal abzufahren. Also Abfahrtsklamotten an und in die Abfahrt gestürzt.

Die Berglandschaft hier oben ist schroff und spektakulär, so dass ich erst mal nicht weit komme und zwei Fotostopps einlege. Dann aber Feuer! Die Abfahrt ist viel zu schnell, d.h. der Aufstieg nachher wird recht steil. Dabei stand im Pässebuch vom Geser, dass das nur eine mittelschwere Auffahrt wäre.

Egal, erst mal die Abfahrt genießen. Der Belag ist zwischendurch recht gut, aber seltsamerweise knacke ich die 70 km/h nicht. Wundert mich eigentlich, vielleicht gibt es die Kurvenführung nicht her, oder ich fahre zu verhalten. Wie gerne hätte ich jetzt mein neues SL3 dabei…

Die Strecke hat offensichtlich ziemlich konstant ein 9 oder höherprozentiges Gefälle, ich glaube der Aufstieg wird viel anstrengender wie gedacht. Aber die Abfahrt macht spaß und die Landschaft ist klasse. Als der erste Blick auf Ulrichen fällt halte ich nochmal an für einen Fotostopp (beim Zweiten auch). Das Ortsbild ist sehr auffällig, denn der ganze Ort besteht aus Walliser Holzhäusern. Und da er nicht sehr groß ist, gibt das ganze ein sehr idyllisches Bild.

In Ulrichen angekommen muss ich erst mal das schon wirklich interessante Tal in Richtung Grimselpass und in die Gegenrichtung fotografieren. Dann fülle ich an einer Tankstelle die Flaschen mit fair bepreistem Wasser auf, nehme ein Gel und mache mich direkt zurück in den Wiederaufstieg. Vielleicht etwas heftig so ohne rechte Pause drei Passanstiege, aber ging vor vier Wochen ja auch. Außerdem sieht der Ort von oben zwar gut aus, aber er wirkt irgendwie schon steril sauber und wenig einladend.

Der Aufstieg geht gleich ordentlich steil mit knapp zweistelligen Steigungsprozenten los. Die Landschaft auf dieser Seite gefällt mir eindeutig besser. Das Tal ist viel enger, die Berge wirken dadurch viel mächtiger.

Mächtig ist auch die 13% Steigung, die nach wenigen Kilometern kommt. Mein Gefühl hat mich bei der Abfahrt nicht getäuscht, das wird ein ganz harter Brocken. Zum Glück kommt noch mal ein etwas flacherer Teil an dem man sich etwas erholen kann. Dann kommt aber nochmals ein richtig steiler Abschnitt, diesmal mit 15% Prozent. Spätestens jetzt weiß ich, dass der Geser diese Seite nie mit dem Fahrrad gefahren ist…

Auch nach diesem heftigen Steilstück gibt es nochmal die Chance sich auf etwas flacherem Terrain zu erholen, aber nicht sehr lange, und dann führt die Straße ziemlich konstant zwischen 10 und 11% nach oben. Und zunächst geht es geradeaus, ohne Kurven, erst mitten im Tal, dann über eine kleine Brücke, auf der man noch mal ein paar Sekunden verschnaufen kann, und dann weiter am Hang entlang.

Diese Strecke zieht sich und zieht sich, bevor es dann ein paar Kurven gibt. Aber auch diese sind genauso steil, meist 11%. Und dann kommt endlich der Serpentinenteil. Serpentinen geben einem immer das Gefühl, dass man schnell an Höhe gewinnt, weil man immer wieder einen neuen Blick zurück auf das Tal hat.

Allerdings bleibt die Steigung eisenhart bei knapp 11%, so dass man sich den Höhengewinn erkämpfen muss. Manchmal flacht die Strecke tatsächlich auf 9% ab, und ich versuche mich dann in diesen Abschnitten zu erholen, so seltsam das klingen mag.

Ich hatte mir ausgerechnet, bei welchem Kilometerstand auf meinem Radcomputer ich oben sein sollte. Noch drei, vier Kilometer sollten es jetzt sein. Aber Serpentine folgt auf Serpentine, und irgendwie sieht es nicht aus, als wäre ich bald oben.

Mittlerweile hat der Akku der Kamera aufgegeben, so dass ich die Fotos umständlich mit dem Handy machen muss, was mich immer etwas aus dem Kletterrhythmus bringt.

Irgendwann sehe ich eine Radlerin mit einem riesigen Rucksack vor mir, die sich auf der Straße ihre eigenen Serpentinen macht, mit enormer Untersetzung kommt sie dadurch kaum vorwärts. Als ich vorbei fahre rufe ich ihr zu „noch 1000 Meter, dann ist es vorbei!“. Immerhin kann sie trotz Anstrengung noch lächeln.

Dumm nur, dass das mit den 1000 Metern überhaupt nicht stimmt, ich habe mich komplett verschätzt mit dem Kilometerstand, denn auch ein Kilometer weiter kommen noch weitere Serpentinen.

Dort hole ich auch einen Reiseradler mit Randonneur ein, der mir schon auf der Abfahrt aufgefallen war. Allerdings eigentlich schon recht weit oben, so dass ich nicht damit gerechnet hatte ihn noch einzuholen.

Als ich ihn eine Serpentine über mir sehe ist das natürlich eine gute Motivation. Gerne hätte ich ein paar Worte mit ihm gewechselt, aber gerade als ich vorbei fahre, kommen einige Autofahrer und Motorräder. Außerdem scheint ihm nicht der Sinn nach Geselligkeit zu stehen, vielleicht ist er einfach total platt.

Würde mich auch nicht wundern, denn die Steigung bleibt konstant steil, und hier oben gibt es auch noch heftigen Gegenwind. So muss ich noch weitere Serpentinen kämpfen, bis sich endlich die Passhöhe abzeichnet.

Auch wenn die Serpentinen endlos erschienen, der fantastische Ausblick macht vieles wieder wett. Und als ich endlich die Passhöhe und das Restaurant erreicht habe, fühlt sich das sehr gut an. Auch hier steht das Passschild tief, so das ich bis zur höchsten Stelle fahre, die Radcomputer anhalte und ein Stück zurück fürs Foto am Schild fahre. Dabei wird mir wirklich sehr kalt, denn es ist kein Deut wärmer wie vorhin beim Aufstieg von der anderen Seite, und der kalte Wind hat sogar noch zugenommen.

Also der Nufenen von Ulrichen aus ist wirklich brutal zu fahren. Definitiv ein richtig schwerer Pass. Das dieser Anstieg gleich der zweite nach dem Grimselpass ist auf der Platinrunde des Alpenbrevets macht mir ernsthaft Sorge. Denn schließlich muss man nach 4:15 Stunden in Airolo sein, wenn man sich für die Platinrunde qualifizieren will.

Egal, erst mal im Passhöhenrestaurant ordentlich Spaghetti Bolognese und Orangensaft, der mir ja schon als Treibstoff bei meinen Fahrradreisen gedient hat. Ich versuche etwas zu relaxen, denn schließlich steht ja noch eine heftige Passauffahrt auf dem Programm.

Aber irgendwie traue ich dem Wetter nicht. So gibt’s noch einen Milchkaffee zum Nachtisch, und dann rüste ich mich auch schon wieder für die Abfahrt.

Mein Gefühl hat mich nicht getäuscht, als ich rauskomme fällt vereinzelt kleines weißes Zeug vom Himmel. Irgendjemand meint was von Schnee, aber das stimmt nicht. Es sind ganz feine Hagelkörner. Ich sehe zu, dass ich in die Abfahrt komme, und auf den ersten paar hundert Metern piksen die kleinen Hagelkörner wie Nadelstiche auf der Haut.

So sehe ich nur zu, dass ich möglichst schnell hinunter komme. Fotostopps mache ich kaum, sondern genieße einfach die Abfahrt. Im flacheren Teil unten muss man schon noch ordentlich treten um flott vorwärts zu kommen, dann kann man aber auch schon links die neue Gothardtstraße hoch im Berg sehen.

Am Ortseingang von Airolo entledige ich mich der Abfahrtsklamotten und fahre gleich weiter in den Aufstieg zum Gotthardpass. Für den Aufstieg wähle ich natürlich die alte klassische Kopfsteinpflaster Variante. Die Straßen kreuzen sich hier mehrmals, so dass ich mir erst nicht sicher bin ob ich auf der richtigen Straße bin, als mir aber gleich die Postkutsche, die hier zu touristischen Zwecken noch immer fährt, begegnet, weiß ich, dass ich richtig bin.

Und dann kommen auch schon die ersten Kopfsteinpflaster Passagen. Zunächst immer wieder unterbrochen von kurzen geteerten Stücken. Das Kopfsteinpflaster ist schon recht grob, und auch nicht sehr dicht gelegt. Also schon heftig zu fahren mit dem Rennrad. Durch den etwas schlechteren Grip und die größere Anstrengung fährt man auf dem Kopfsteinpflaster einen Gang kleiner als auf den geteerten Abschnitten.

In diesem unteren Teil fahren noch erstaunlich viele Autos. Dabei können die sich das Gerüttel doch eigentlich sparen. Trotz dem Geschüttel kann ich immer wieder den Blicke zurück ins Tal genießen und auch den Blick auf die sich umeinander schlängelnden alte und neue Straße.

Naja, bis jetzt alles noch ganz harmlos, die Steigung liegt eher so bei 7 bis 8 %, die Beine sind erstaunlich gut, also alles im grünen Bereich. Nach einer Weile wechselt der Straßenbelag von Kopfsteinpflaster und Teer auf Rüttelbeton. Die Betonteile aus denen die Straße jetzt besteht haben in kurzen Abständen Querrillen, so dass man darauf genauso durchgeschüttelt wird wie auf dem Kopfsteinpflaster. Seltsame Form von Traditionalismus…

Noch einmal unterquert man die neue Straße, die jetzt weit am Berg in Richtung Bedretto Tal führt. Die klassische Straße führt hingegen direkt durch das Val Tremola, das Tal des Zitterns. Jeder der die Straße mit der Postkutsche gefahren ist, weiß warum das so heißt, jeder Rennradfahrer auch!

Ab hier gibt es nur noch Kopfsteinpflaster als Straßenbelag, und kaum um die Kurve bläst mir heftiger kalter Gegenwind entgegen. Die Steigung beträgt jetzt ziemlich konstant 9%. Der Gegenwind macht daraus 11%, und durch das Kopfsteinpflaster verliere ich einen Gang. Also so einfach dieser Anstieg auf dem Papier aussieht, so heftig ist er jetzt. Und außerdem habe ich auch schon deutlich über 3000 Höhenmeter in den Beinen, mit einem Satz: Ich muss kämpfen.

So richtig fällt mir kein guter Grund ein diese Strecke mit dem Fahrrad zu fahren. Die Aussicht ist auf der neuen Trasse besser. Das Val Tremola wirkt zwar jetzt, wo sich die Wolken dunkel zusammenziehen, und durch den heftigen kalten Gegenwind sehr düster, fast bedrohlich, aber schön ist es eigentlich nicht.

So rüttele ich mich immer weiter nach oben, nach einigen Kurven kommen Serpentinen. Gegen den Wind muss ich richtig kämpfen, nach der Kehre schiebt mich der Wind dann nach oben, und bei der nächsten Kehre muss ich mich wieder gegen den Wind stemmen. So geht es hin und her. Mittlerweile ist es saukalt. Und dann fängt es an zu nieseln.

Kopfsteinpflaster, Gegenwind, 9% Steigung und Regen. Ein nerviger Cocktail. Aber irgendwie packt mich schon der Ehrgeiz, ich bin ja freiwillig hier, das mit dem Niesel ist kaum der Rede Wert, den Gegenwind beschimpfe ich und das Blog heißt ja steil berghoch, da sind 9% nun wirklich nix. Außerdem muss ich an die geschichtliche Dimension denken. Dieser Alpenübergang ist einer der ältesten und meistgenutzten überhaupt. Über viele hundert Jahre sind hier Generationen von Menschen hinüber gezogen. Ein spannender Gedanke.

So kämpfe ich mich die Serpentinen nach oben (es sind ganz schön viele), vorbei an den Bauarbeitern, die das Kopfsteinpflaster an manchen Stellen ausbessern, vorbei an Militäranlagen, die hier überall zu sehen sind. Und schließlich kann ich auf der anderen Talseite die neue Trasse sehen, die in einer Lawinengallerie aus dem Berg kommt.

Jetzt ist es nicht mehr weit. Die letzten Meter, und der kleine See auf der Passhöhe und das Hospiz sind erreicht. Es ist wirklich kalt, aber das Passschildfoto kriege ich noch hin.

Und dann geht es gleich in die Abfahrt hinunter in Richtung Andermatt. Es sieht zwar immer noch nach Regen aus, aber noch ist die Straße trocken. So kann ich die Abfahrt genießen, und schließlich die letzten paar Kilometer nach Andermatt ausrollen.

Was für ein Tag! Vier Passauffahrten sind heftig, aber ich hab’s gut weggesteckt. Die Knie machen keinen Mucks, auch die Beine haben gut funktioniert. Der Schauinslandkönig gestern hat sich nicht bemerkbar gemacht. Und vor allem konnte ich die spektakulären Landschaften bei recht gutem Wetter genießen.

Die Tremola muss man nur einmal fahren um sie in sein Palmares schreiben zu können, aber der Gotthard bietet schon super Aussichten. Den Nufenen von Urichen aus muss man auf jeden Fall fahren. Auch wenn er wirklich brutal ist. Und das auf Schweizer Bergen immer Gegenwind kalt entgegenbläst ist halt so.

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