steilberghoch

Ultracycling und Alpenpaesse

Mont Ventoux

Nach dem Frühstück, das so spartanisch ist wie das Zimmer sitze ich um viertel nach acht auf dem Rad. Das Wetter ist perfekt. Blauer Himmel, keine Wolke zu sehen, dabei noch angenehm kühl. Vom Hotel aus noch ein Blick auf das Ziel, den Mont Ventoux. Auch der heute ohne eine Wolke, vielleicht habe ich ja heute mal Glück mit dem Wetter.

Mein Hotel ist nur ein paar hundert Meter von dem Kreisel in Bedoin entfernt, an dem die Straße hinauf auf die Passhöhe beginnt. Da die „offizielle“ Zeitmessstrecke aber 20 Meter hinter dem Kreisel beginnt starte ich die Stoppuhr dort an der Startlinie.

Auch wenn es mir heute nicht auf eine schnelle Zeit ankommt und ich stattdessen lieber ordentlich Bilder mache und die Landschaft genieße will ich natürlich nicht über zwei Stunden da hochtrödeln. Die knapp 56 Minuten des Streckenrekords von Iban Mayo aus 2004 werde ich sicher nicht unterbieten, aber um 1:30 h gilt als sehr gute Zeit, und in die Richtung will ich schon kommen.

Die ersten zwei Kilometer bin ich ja gestern schon bei der Installationsfahrt gefahren. Es geht zunächst recht flach los, man könnte sich theoretisch also etwas einradeln, aber ich sehe schon zu, dass ich nicht unter 250 Watt fahre und hoffe, dass ich immer so um die anaerobe Schwelle fahren kann, damit bin ich bei den letzen Pässen, die ich in Angriff genommen habe, ganz gut gefahren.

So fahre ich der Sonne zunächst entgegen und auch nachdem man links abbiegt in Richtung Mt. Ventoux geht es immer noch sehr moderat nur bergauf. Erst nachdem man St. Colombe passiert hat zieht die Steigung etwas an. Man fährt überhaupt nicht auf den Mont Ventoux zu, sondern eher so neben her, und der Baumbewuchs nimmt zu, bis man schließlich in bewaldetem Gebiet fährt.

Ab jetzt hat man es mit einer Steigung zu tun, die ziemlich konstant zwischen 9 und 11 Prozent liegt, mit einzelnen Spitzen bis 13%. Diese Art von Steigung kenne ich schon aus der Schweiz, das kann ganz schön anstrengend sein.

Es geht immer weiter durch den Wald, bei gleichbleibender Steigung, kurvig aber fast ohne Kehren. Auch die Profis fanden das anstrengende, hatten aber Unterstützung von ihren Fans, wie man auf der Straße deutlich sehen kann.

Der Wald lichtet sich zwar etwas und zwischen den Bäumen liegen vermehrt Steine und Geröll, aber die Baumgrenze ist noch ein ganzes Stück weg. Auch nach ungefähr 14 Kilometern. Zwischendurch ging mir die konstante Steigung mal etwas auf den Keks, aber die Form ist ok, so dass ich meine gewünschte Wattzahl gut treten kann. Allerdings geht mir auch durch den Kopf was ich alles mit dem Fahrrad in diesem Leben nicht mehr machen werde…

An der Strecke gibt es jeden Kilometer eine kleine Stele mit den verbleibenden Kilometern bis zum Gipfel, der Durchschnittssteigung bis zum Gipfel und der aktuellen Höhe. Vorbildlich. Kurz nach der Stele die die restlichen 6 Kilometer ankündigt gibt es eine große Kehre mit einem Parkplatz und dem Chalet Reynard. Hier zweigt auch die Straße nach Sault ab.

Gerade als ich die riesige Kehre nehme setzt sich von dort ein Radlader in Bewegung und fährt in Richtung Passhöhe. Bis jetzt habe ich keinen anderen Radfahrer, keinen einzigen Motorradfahrer und nur selten mal ein Auto gesehen. Jetzt, wo es in den legendären Schlussabschnitt durch die Geröllwüste geht, schleicht dieses Ding vor mir her und macht einen Höllenlärm. Zwar fährt das Teil mit konstanter Geschwindigkeit, aber nicht sehr schnell. Und da die Steigung hier zunächst etwas zurückgeht überhole ich das Ding.

Ich muss aufpassen nicht zu überziehen, und so kann ich mich zunächst nicht recht absetzen. Das Teil fährt wie gesagt mit konstanter Geschwindigkeit, ich fahre mit konstanter Leisung. Wenn es unter 9% geht setze ich mich etwas ab, wenn es steiler wird kommt der Radlader wieder etwas näher. Schließlich beschließe ich die Leistung deutlich zu erhöhen um etwas Vorsprung aufzubauen, und dann eher über 270 Watt statt knapp darunter zu fahren, so dass ich meinen Vorsprung halten kann. Das gelingt auch, nur ist der Krach noch immer da, denn hier oben ist es ja sonst ruhig. Dabei bieten sich ab hier atemberaubende Ausblicke auf die Landschaft rund um den Berg. Zum Glück fahre ich offensichtlich doch etwas schneller als das blöde Ding und nachdem die Streckenführung immer wieder Kurven macht wird der Krach gedämpft und ist dann erst wieder zu hören wenn auch der Radlader die Kurve genommen hat, was sich quasi erledigt nachdem ich zwei Kurven Vorsprung habe.

Da ich bis jetzt keinen anderen Fahrer gesehen habe ist das eigentlich die perfekte Abwechslung und es hat mich so abgelenkt und nach vorne getrieben wie es kaum ein anderer Rennradler hätte machen können. Bei meiner Flucht vor dem Radlader passiere ich nun auch die letzten vereinzelten Krüppelkiefern und dann gibt es endgültig nur noch Steine.

Und jetzt kommt auch erstmals die riesige Antenne und die Passhöhe in Sicht. Schon beeindruckend, und völlig anders wie bei allen anderen Anstiegen, die ich bis jetzt gefahren bin. Und dann der erste Radfahrer. Vielleicht liegt es daran, dass heute Montag ist, vielleicht an der Uhrzeit. Egal, immerhin einer. Aber der ist nicht sehr schnell. Ich fliege regelrecht an ihm vorbei. Später wird er sogar noch von dem Radlader überholt…

Ein kurzer Gruß, und dann gibt es keine Ablenkung mehr, die Strecke wirkt fast feindlich, und ich kann mir vorstellen wie hier die Sonne brennen kann. Sie versucht es zwar jetzt auch, aber erstens ist es Ende September und zweitens morgens viertel vor zehn, so dass sie nicht die Kraft hat mich zu ärgern.

Die Beine arbeiten immer noch gut bis sehr gut, so dass ich diesen Abschnitt in vollen Zügen genießen kann. Auch wenn ich sagen muss, dass der Mont Ventoux sein HC zu recht hat. Und der Ausblick der sich immer wieder bietet ist schlicht atemberaubend. Natürlich schieße ich zwischendurch immer wieder Fotos, was zwar etwas aus dem Kletterrhythmus bringt, denn schließlich muss ich die Kamera aus dem Trikot nesteln, den Schweiß vom Objektiv wischen, fotografieren und die Kamera wieder ins Trikot reinwursteln. Aber die Motive entschädigen für die Mühe. Jetzt, noch zwei Kilometer vor der Passhöhe, kann ich die klassischen Mont Ventoux Fotos machen wie man sie aus der Tour Berichterstattung kennt, wenn um den Etappensieg oder die Bergwertung gekämpft wird.

Noch ein ängstlicher Blick zurück auf den Radlader, aber der ist nur um die Kurve gefahren, deshalb ist er wieder so laut zu hören, dann fährt er an den Straßenrand und es wird wieder still.

Mir ist nicht nach Pause zu Mute, auch wenn es auf den letzten zwei Kilometern nochmal steiler wird und die Steigung wieder um 10% liegt. Ich passiere das Denkmal für Tom Simpson, dass man in der grauen Steinwüste fast übersehen könnte.

Und dann endlich der letzte Kilometer. Der ist nochmal ordentlich anstrengend, aber auch als die letzte berühmte Kurve in den Blick kommt bin ich noch gut drauf, auch die fiese kleine Rampe bis zum Passschild geht noch gut, und so erreiche ich nach 1:37 h die Passhöhe.

Mein Rückstand auf Iban Mayo’s Bestzeit geht ja noch…

Natürlich gibt es ein Passschildfoto. Und vor allem genieße ich für ein paar Momente die fantastische Aussicht . Einerseits auf die Geröllwüste unterhalb der Passhöhe, andererseits auf die umliegende Landschaft.

Da der Berg mit seiner Höhe von 1912 Metern praktisch keinen Konkurrenten in der Nähe hat, bietet sich kein wohlbekanntes Alpenpanorama mit vielen Bergspitzen und Blick auf ein Tal, sondern man kann hunderte Kilometer weit über die provencalische Landschaft schauen. Ich muss mich wiederholen, atemberaubend!

Kurz die Windjacke angezogen und dann geht es in die Abfahrt nach Malaucene. Aber nach hundertfünfzig Metern muss ich schon wieder stehen bleiben. Fotostopp ja klar, aber diese fantastische Aussicht muss ich auch einfach genießen. Obwohl es etwas diesig ist, ist die so beeindruckend, dass man fast gar nicht weiterfahren will.

Das mache ich dann aber trotzdem. Im oberen Teil mache ich noch zwei, drei Fotos, dann genieße ich einfach die Abfahrt.

Da dieser Teil noch im Schatten liegt, ist es recht frisch, und die Straße ist noch nicht recht getrocknet vom gestrigen Regen. Aber von der Streckenführung her ist die Abfahrt klasse. Es gibt einige recht lange, kaum kurvige Abschnitte mit zweistelligem Gefälle. Warum ich trotzdem mit 79,9 km/h an der 80er Marke scheitere ist mir eigentlich nicht ganz klar. Vielleicht hat mich die Feuchtigkeit auf der Straße gerade an diesen Stellen zu frühem Bremsen gezwungen. Das Fahrrad fühlt sich jedenfalls bestens an, an dem lag es kaum.

Wie auch immer, auf der Abfahrt sehe ich dann doch einige Radfahrer, also lag es wohl eher an der Uhrzeit, dass ich im Aufstieg von Bedoin so „einsam“ gefahren bin. Einige kann ich sofort als Motvationshilfe identifizieren, d.h. obwohl ich die noch ein ganzes Stück im Berg sehe, nehme ich mir vor sie beim Aufstieg noch vor dem Gipfel wieder einzuholen.

Unten in Malaucene esse ich kurz einen Energieriegel, um dann gleich wieder berghoch zu fahren. Vom Schwierigkeitsgrad, also Höhenmetern und durchschnittlicher Steigung ist der Anstieg mit dem von Bedoin aus vergleichbar.

Ich starte die Zeitmessung am Kilometer 0 der Straße, auch wenn hundertfünfzig Meter weiter nochmal so ein offiziell aussehendes Schild steht.

Hier geht es nicht so moderat los, sondern schon bald steigt die Straße ordentlich an, und auch schon früh bekomme ich den ersten Radler zu Gesicht. Sehr schön. Es gibt hier einen deutlich abgegrenzten Radweg, etwas was ich von den bisherigen Pässen, die ich gefahren bin, nicht kenne. Auch gibt es wieder die schönen Stelen mit den Kilometerangaben usw. wie auf der anderen Seite.

Auch wenn man es der Straße nicht so ansieht, es geht ordentlich berghoch, außerdem ist es jetzt mit 20° deutlich wärmer wie beim ersten Anstieg. Allerdings ist die Steigung dafür nicht über so eine lange Teilstrecke konstant wie auf der Bedoin Seite.

Und nachdem die ersten sechs, sieben Kilometer überwunden sind, bieten sich immer wieder herrliche Ausblicke auf die umliegende Landschaft. Es folgen sogar etwas flachere Abschnitte. Ich versuche aber auch hier immer recht konstant meine Leistung zu halten. Geht eigentlich noch ganz gut.

Nach weiteren Kilometern kommt der nächste Radfahrer in Sicht (die Mountainbiker habe ich nicht mitgezählt…), denn hatte ich eigentlich weiter oben erwartet. Gute Motivation. Dann kommt eine Kehre, und man kommt etwas mehr in den Schatten. Die Passhöhe selbst, also das Ziel kann man bis dahin noch nicht sehen.

Aber was ich sehen kann ist ein weiterer Radfahrer. Ich komme nur langsam näher. Natürlich reizt es jetzt ordentlich Gas zu geben, aber ich fahre weiter stur nach Wattmeter, denn ich kann spüren, dass er dagegen hält, ich bin mir aber sicher ihn auf den nächsten Kilometern zu schnappen. Dann komme ich irgendwann richtig dran und fahre, nur wenig schneller, an ihm vorbei. Wir grüßen uns, und er feuert mich sogar an. Da muss ich ihm natürlich was bieten und gehe aus dem Sattel um schnell ein paar Meter zwischen uns zu legen.

Dann kommt auch schon bald ein kleiner Kreisverkehr. Hier halte ich mich natürlich rechts, in Richtung Passhöhe. Ab jetzt fährt man meist im Schatten, was ich als angenehm empfinde, auch wenn die Temperatur sogar bis auf 11° abnimmt.

Nochmal ein Blick auf die herrliche Aussicht, dann wird es deutlich steiler, was mir Gelegenheit gibt zwei weitere Rennradler zu überholen. Für einen Montag ist jetzt doch erstaunlich viel Rennradverkehr. Der Montoux ist offensichtlich eine echte Pilgerstätte für Radfahrer.

Die Steigung ist ordentlich, bis ca. 11% aber immer wieder wird man mit herrlichem Ausblick für die Anstrengung entschädigt. Und dann kann man endlich das Ziel, die große Antenne auf der Passhöhe sehen. Jetzt sind es quasi nur noch drei Kehren, aber die Strecke dazwischen ist recht lange.

Die Aussicht wird noch besser, und auch der Blick zurück auf die zurückgelegten Abschnitte ist einfach geil. Jetzt fährt man wieder in der Geröllwüste, wenn sie auf dieser Seite auch nicht so feindlich wirkt. Der Blick auf die letzte Kurve und die letzte Kehre können es aber mit der anderen Seite durchaus aufnehmen.

Noch einmal die Kräfte mobilisieren, vorbei am Aussichtspunkt unterhalb der Passhöhe und über den mit Autos und Wohnmobilen zugestellten Parkplatz und es ist geschafft. Zum zweiten Mal habe ich heute den Mont Ventoux erklettert und natürlich gibt es auch jetzt ein Passschildfoto. Die Zeit von 1:39 ist auch ok.

Wieder muss ich einfach für ein paar Momente die herrliche Aussicht genießen, bevor ich die 200 Meter zum Restaurant in Richtung Bedoin abfahre. Ich hatte mir vorgenommen um spätestens 12:30 Uhr hier zu sein, was ich locker geschafft habe. Die Franzosen sind nämlich mit den Essenszeiten sehr streng. Um Punkt 12:00 Uhr wird zu Mittag gegessen, und um 13 Uhr noch was zu bekommen kann schwierig sein, und das wollte ich nun wirklich nicht riskieren hier oben zu sitzen und nur Kekse zu essen.

Das Wetter ist nach wie vor traumhaft. So kann ich meine Portion Spaghetti und die drei Milchcafe bei dieser (ich muss es wieder sagen) atemberaubenden Kulisse und Aussicht genießen. Dabei komme ich ins Gespräch mit ein paar weiteren Rennradlern. Die einen sind aus Kanada angereist um für eine Woche in der Provence Fahrrad zu fahren, wow. Die anderen kommen für zehn Tage aus Irland. Auch nicht schlecht. Da liege ich mit meinen tausend Kilometern Anfahrt ja noch ganz gut.

Die Kanadier unterhalten sich lebhaft darüber wie hart doch der letzte Kilometer (sie sind von Bedoin hochgefahren) gewesen sei. Ich weiß gar nicht wovon die eigentlich reden (aber ich kriege es heute noch raus…)

Nun, wenn man die beiden klassischen Seiten des Mont Ventoux am Vormittag gefahren ist, und bei herrlichem Wetter und fantastischem Panaroma gegessen hat, fragt sich wie man denn den Nachmittag verbringen könnte. Und da fällt mir doch ein, dass mein Kollege meinte die schönste Seite auf den Ventoux wäre eigentlich die dritte mögliche Auffahrt, nämlich die von Sault. Der Kollege ist zwar mit dem Bus gefahren und nicht mit dem Rennrad, aber überprüfen sollte ich das schon. So stürze ich mich in die Abfahrt nach Bedoin, bis hinunter zum Chalet Reynard, halte mich dann aber links und fahre in Richtung Sault.

Zwar habe ich schon über 3000 Höhenmeter in den Beinen, aber morgen und übermorgen sitze ich nur im Auto, kann also gut regenerieren und außerdem ist der Anstieg von Sault zwar ca. 4 Kilometer länger als die anderen beiden, hat dafür aber nur eine durchschnittliche Steigung von knapp 5%. Das sollte doch zu machen sein.

Auf der Abfahrt mache ich nur wenige Fotos, was hauptsächlich an der wirklich schlechten Straße liegt. Die Abfahrt ist so holprig, dass selbst mein SL3 Roubaix, dass ja für Kopfsteinpflaster entwickelt wurde an seine Grenzen stößt. So kann man auch nicht so richtig schnell fahren. Abgesehen davon, dass die Straße tatsächlich ab der Abzweigung nie so richtig steil wird.

Aber für den Aufstieg teilt sich die Strecke ja die letzten ca. sechs Kilometer mit dem Aufstieg von Bedoin, so dass es auf jeden Fall am Schluss nochmal hart wird.

Die Abfahrt dauert recht lange, aber trotz der schlechten Straße und obwohl ich lange Abfahrten nicht so richtig mag, finde ich es einfach geil. Das hier ist Provence pur. Man kann das förmlich atmen.

Immer wieder muss man ordentlich treten um auf Tempo zu bleiben, jedenfalls das Tempo, das der Straßenbelag zulässt. Nur die letzten paar Kilometer ist der Belag etwas besser.

Nach Sault geht es dann am Schluss nochmal durchaus steil ein paar hundert Meter bergauf. Ich fahre nicht in das Städtchen rein, sondern nur bis zum Beginn des Aufstiegs an einer Kreuzung. Hier ist der Kilometer Null markiert. Vorbildlich, so weiß man wenigstens wo man die Stoppuhr starten muss. Die Beschilderung auf den Strecken zum Mont Ventoux ist wirklich perfekt.

Ich nehme mir keine Zeit vor, denn ich will nur noch genießen, trotzdem fahre ich natürlich nach Wattmeter, ich nehme mir für den Anfang einigermaßen entspannte 250 Watt vor. Damit bleibe ich deutlich unter der Schwelle. Durch die moderate Steigung kann ich das auch gut regulieren und mit recht hoher Trittfrequenz fahren.

Auch auf diesem nicht so berühmten Anstieg treffe ich einige Radler, vielleicht fahren die ja hier, weil das wohl die leichteste Variante ist um auf die Passhöhe des Ventoux zu kommen. Jedenfalls spricht dafür, dass die alle recht langsam unterwegs sind.

Diesen Anstieg von Sault aus könnte man mit Provence pur beschreiben. Jedenfalls weiß ich, was mein Kollege gemeint hat. (wenn ich auch nicht seiner Meinung bin)

Während auf dem Anstieg von  Malaucene die Passhöhe erst ganz spät zu sehen ist, ist hier der ganze Berg lange Zeit überhaupt nicht zu sehen. Wenn ich nicht gerade hier herunter gefahren wäre, hätte ich wohl vermutet falsch zu fahren, bis das erste Schild „Pass geöffnet“ erscheint.

Nachdem ich anfangs etwas vorsichtig bin, da ich mir nicht sicher bin, ob ich diesen dritten Anstieg noch verkrafte, gehe ich mit der Leistung immer ein bisschen nach oben, bis ich fast genauso um die Schwelle rum fahre wie bei den anderen Anstiegen. Auch wenn die Strecke sich zu ziehen scheint, so fliegen die Kilometer doch dahin, denn durch die Steigungen meist um 6% oder etwas drarunter bringt die gleiche Leistung natürlich viel mehr Geschwindigkeit.

Berghoch ist die Strecke genauso holprig wie bergrunter, wer hätte das gedacht. Vor allem merkt man es, da man hier nicht wie an den anderen beiden Anstiegen um die 15 km/h herum fährt, sondern eher zwischen 20 und 25 km/h.

So fliegen die Kilometer dahin. Die Beine sind noch gut, und auch wenn es jetzt um die 25° sind, ist die Temperatur auszuhalten. Trotzdem freue ich mich, wenn es auch mal ein Stück etwas Schatten gibt.

Ich überhole ein paar Radfahrer, unter anderem ein Ehepaar wo der Mann Probleme hat mit der Frau mitzuhalten, und diese fährt so 15 Meter vor ihm und gibt laut nach hinten irgendwelche Anweisungen… Ich würde an seiner Stelle so lange trainieren, bis ich die an jedem noch so kleinen Berg abhängen könnte, nur um mir diese keifenden Anweisungen zu ersparen.

Naja, egal meine Form reicht dann doch locker für beide, auch für die Frau. Jetzt kommt ein Teil, wo die Geschwindigkeit sogar die 30 km/h Marke übersteigt, und das bei gut 270 Watt berghoch. Fühlt sich an wie bei den Profis, den Berg hoch fliegen, allerdings fahren die das natürlich bei ganz anderen Steigungen.

Plötzlich höre ich hinter mir ein Schaltgeräusch. Da hat sich doch tatsächlich einer an mein Hinterrad gehängt. Ich weiß nicht genau wie lange, und wo der eigentlich herkommt weiß ich auch nicht. Na bei den Geschwindigkeiten macht Windschatten wirklich Sinn.

Ich grüße ihn kurz, vielleicht können wir ja zusammen den Berg hochgeißeln. Aber er grüßt nicht zurück, sondern schnauft nur erschöpft, offenbar hat er sich mit Gewalt über eine längere Entfernung an mein Hinterrad gekämpft, und will sich jetzt von mir ziehen lassen. Und dann nacherher auf den letzten Metern an mir vorbeisprinten? Abhaken!

Ich erhöhe meine Leistung auf ca. 290 Watt, ich will mich natürlich nicht treiben lassen, aber so einfach soll er es auch nicht haben, der unfreundliche Knopf. Wenn er wenigstens mit mir gesprochen hätte, hätte ich ihn auch den Berg hochgezogen, aber so, nö!

Kurz darauf erreichen wir das Chalet Reynard, wo die Straße wieder auf den Anstieg von Bedoin trifft. Jetzt wird es ernst. Da es jetzt deutlich steiler wird, nutze ich erst mal die Gelegenheit und ziehe etwas an um ein paar Meter zwischen uns zu legen, was auch gut klappt.

Allerdings merke ich auch, dass das schon mein dritter Anstieg auf den Mont Ventoux für heute ist, das wird jetzt richtig hart. Noch fünf Kilometer, der andere ist jetzt so ca. 15 bis 20 Meter hinter mir und schnauft heftig, hält diesen Abstand aber. D.h. wenn ich jetzt nachgebe holt er mich vielleicht wieder ein.

Ich versuche stur nach Wattmeter zu fahren, jetzt ist es ja für einen Moment nicht ganz so steil, allerdings fahre ich nur noch um 250 Watt, so langsam merke ich die heftige Belastung. Aber der andere kann auch nichts zusetzen, so bleibt der Abstand ungefähr gleich.

Noch vier Kilometer, wieder fotografiere ich die beeindruckende Geröllwüste, die jetzt zum Glück durch ein paar Wolken im Schatten liegt. Warm genug ist es mir aber trotzdem. Vor mir taucht ein Radfahrer auf, und obwohl ich bestimmt nicht mehr die Kraft und Ausdauer von heute morgen habe fliege ich vorbei. Hier am Ventoux fahren einige, die der Berg sichtlich überfordert. Das habe ich an anderen Pässen noch nicht gesehen, einige schieben sogar (Rennradfahrer!).

Zum zweiten Mal für heute bietet sich mir der legendäre Blick auf die Passhöhe, aber diesmal flößt er mir mehr Furcht ein. Ich merke immer mehr, dass meine Kräfte so langsam zur Neige gehen. Noch zwei Kilometer, und ich schaue, mehr aus Versehen, auf die schon gefahrenen Höhenmeter. Es sind jetzt über 4000, und der Gedanke daran macht die Beine schwer.

Jetzt wird es wirklich hart, und jetzt kann ich nachvollziehen, was die Kanadier beim Mittagessen gemeint haben. (Wenn die auch nur eine Auffahrt gefahren sind)

Das kleine Duell mit dem Hinterradlutscher (ist nicht bös‘ gemeint) hat mir gut getan und mich abgelenkt, aber ich bin mir momentan nicht sicher ob ich es bis oben hin schaffe. Dann kommt die 1 Kilometer Marke. Da geht eine Frau und schiebt ihr Rennrad. Ich spreche sie auf englisch an „only one kilometer, come on you can make it, only one kilometer!!!“
Aber es nutzt nichts, sie ist platt, „not for me, one kilometer for you“ ist ihre Antwort. Schade, aber wenn der Kopf nicht mehr kann…

Mein Kopf ist sich auch nicht mehr sicher ob er noch kann. Der letzte Kilometer ist elend hart. Und es wird hier ja nochmal gut 10% steil. Ich versuche an Franz Venier zu denken, „jede Kurbelumdrehung bringt dich näher ans Ziel“.

Da höre ich hinter mir ein lautes Schreien und Fluchen, die Rennradlerin muss wohl ihren ganzen Frust mal richtig rausschreien. Ich kann es gut nachvollziehen, aber ich werde bestimmt nicht ein paar hundert Meter vor dem Ziel aufgeben. Und dann kommt die letzte Kurve, jetzt nochmal die kleine Rampe zur Ziellinie an der Passhöhe. Elend schwer, sie kommt mir vor wie ein 20% Anstieg, aber ich trete aus Protest 300 Watt, und dann ist es tatsächlich geschafft. Zum dritten Mal komme ich heute auf der Passhöhe des Mont Ventoux an.

Was für ein triumphales Gefühl, diesen letzten Kilometer noch geschafft zu haben. Glücksgefühl strömt durch den Körper. Nachdem ich die Zeit von 1:17 h gestoppt habe fahre ich noch ein paar mal im Kreis bis der Puls wieder normale Werte erreicht, mache das Passschildfoto und genieße erneut die Aussicht. Ja, auch jetzt ist sie noch atemberaubend!

Da die Mittagessenszeit ja vorbei ist und das Restaurant geschlossen hat, schlendere ich an den Süßigkeitenständen vorbei, die hier aufgebaut sind. Ich kaufe ein so’n Ding, aber das schmeckt nicht nur zum Brechen süß, sondern auch noch wirklich widerlich, so dass ich den Rest gleich in den Müll werfe. Allerdings gönne ich mir noch eine Orangina.

Dann geht es in die letzte Abfahrt für heute, zurück nach Bedoin. Etwas unterhalb der Passhöhe ist nochmal ein Aussichtspunkt, hier genieße ich noch ein letztes Mal die Aussicht und mache noch ein paar Fotos, als ob man das tatsächlich im Bild festhalten könnte.

Ab da genieße ich dann die Abfahrt. Die ist wirklich klasse, noch besser als auf der Malaucene Seite. Die macht wirklich einen Höllenspaß. Wieder bleibt es bei gut 79 km/h. Vielleicht ist mein Fahrrad einfach nicht schneller…

Während meine Beine nun über 4300 Höhenmeter super funktioniert haben, mögen sie den mangelnden Widerstand gepaart mit dem kühlen Wind nicht besonders und fangen etwas an zu krampfen. Aber das geht schnell wieder weg.

Berghoch mag die lange konstante Steigung nerven, aber bergrunter macht es einfach nur Spaß. Kaum Serpentinen, aber schöne gut zu fahrende Kurven. Einfach nur perfekt.

Dann fangen die Beine wieder an sich zu beschweren, diesmal etwas heftiger, aber auch das geht wieder vorbei, und so komme ich tiefenentspannt mit einem glücklichen Lächeln in Bedoin an. Die Sonne scheint, das Leben ist schön.

Als ich das erste mal über 4000 Höhenmeter an einem Tag gefahren bin, habe ich nicht mal mehr zu Abend gegessen, sondern bin gleich wie tot ins Bett gefallen. Jetzt gehe ich erst mal in den Ort, kaufe mir eine Flasche frisch gepressten O-Saft und setze mich auf eine Bank. Es sind 26°, mein Blick fällt auf die Haupstraße dieses typischen provencalischen Ortes mit seiner Platanenallee, den malerischen Häusern, dem lebhaften Verkehr, einfach nur schön. Was für ein perfekter Tag. Und ich habe das Gefühl, das ich mir den redlich verdient habe, im Gewitter, Hagel, Sturm und Schnee am Stilfser Joch und auf all den Abfahrten auf denen ich elend gefroren habe dieses Jahr.

Tausend Kilometer Anreise für den Mont Ventoux, lohnt sich das, nur für den Mythos? Nee für den Mythos nicht. Aber für die fantastischen Anstiege, für die atemberaubende Aussicht, für die sportliche Herausforderung, für das Genießen des Erfolgs hier auf dieser Bank in dem kleinen provencalischen Ort Bedoin, dafür lohnt sich das!

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1 Kommentar

  1. Anonymous 27. September 2011

    Toll dass du nicht nur auf deine Leistung, die ja echt super ist, achtest, sondern auch die Schönheiten der Welt genießen kannst. Ich wünsche dir dass die nächsten Tage so weiter gehen.
    Herzliche Grüße
    Lydia

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