steilberghoch

Ultracycling und Alpenpaesse

Ötztaler Radmarathon 2010

Nachdem der gestrige Tag nur eine lockere Stunde Radfahren beinhaltete, Rekombereich mit zwei kleinen Bergintervallen wurde es also heute ernst.

Ich wache erstmals um halb eins Nachts auf, und muss feststellen, dass eine Erkältung im Anflug ist. Na egal, die Nase ist besser wie beim Glocknerkönig, und der lief ja auch gut.

Um kurz nach vier Uhr morgens ist dann die Nacht vorbei, und noch deutlich vor fünf Uhr ist auch das Frühstück erledigt. Müsli, drei Brötchen, Kamillentee. Mehr geht nicht rein.

Ich entscheide mich sehr früh zum Start zu gehen, und stehe schon um viertel vor sechs in der Startaufstellung. Dadurch bin eigentlich recht weit vorne. Die Stunde warten, verfliegt seltsamerweise wie im Flug. Und schon jetzt zeigt sich, dass die Veranstaltung nicht nur topp organisiert ist, sondern dass die wirklich ein super Event aus dem Ötzi gemacht haben.

Es ist ja noch dunkel, doch die Stimmung ist bestens. Und vor allem spielen die Rockmusik im Startbereich, also wieder Glück und keine Schlager oder Hiphop, Sternchenpop usw. Als es dann langsam hell wird, und die Berge in der Morgendämmerung auftauchen, und auch noch Jump von van Halen dazu läuft, ist alles perfekt. Nachdem es gestern geregnet hat und teils sogar stürmisch war ist heute fantastisches Wetter. Auch wenn das Thermometer nur 4° C anzeigt.

Auf der Waage heute morgen stand 77,5 kg. Mein Zielgewicht für den Ötzi war 78 kg, also perfekt. Leider bin ich misstrauisch gegen das Zeug was vielleicht an den Labstationen angeboten wird, und Beinlinge, lange Handschuhe sowie Regenjacke müssen auch noch mit, so komme ich auf 4 kg Klamotten und Nahrung. Oje. Das Fahrrad konnte ich nicht unter 10,4 kg abspecken, da natürlich Ersatzschlauch und Werkzeug mit muss, außerdem habe ich zwei 1 Liter Flaschen dabei, so dass hier auch nochmal ein halbes Kilo gegenüber Standardflaschen dazukommt.

Als es endlich soweit ist, dass es losgeht spielen die doch tatsächlich „I have a dream“ von Abba?! Zum Glück hört man es kaum, da ein Hubschrauber über der Szenerie kreist. Es dauert einen Moment, bis nach dem Startschuss Bewegung in den Bereich kommt wo ich stehe, aber da ich wie gesagt recht weit vorne stehe hält sich das in Grenzen.

Und dann geht es auch schon los, und das Feld jagt Richtung Ötz. Die Fahrer sind insgesamt nicht ganz so diszipliniert wie die Leute die beim Radsportcamp vor zwei Wochen dabei waren, allerdings gibt es keine wirklich brenzligen Situationen. Da das Starterfeld noch gut durchmischt ist gibt es ein ständiges Überholen und überholt werden.

Ich versuche immer einen passenden Zug zu finden, was mir aber nicht immer gelingt, da ich ja auch nicht gleich mein ganzes Pulver verschießen will. Aber immerhin kommt letztlich ein Schnitt von 46,6 km/h bis zum Kreisel und Abweig Kühtai dabei heraus. Im Schnitt trete ich dafür 181 Watt, das dürfte noch im grünen Bereich liegen. Aber während der Fahrt schaue ich eigentlich nur auf die aktuell getretenen Watt, alles andere ignoriere ich, auch im Hinblick auf mein gesetztes Ziel von 10 Stunden, denn ich will nur auf meine Beine hören und auf keinen Fall überziehen.

Ich bin völlig überrascht als wir schon am Kreisel in Oetz sind, und schaffe es gerade noch die Zwischenzeit auf dem Garmin zu nehmen. Und dann kommt das erwartete Gewühle. Es ist unmöglich seinen eigenen Rhythmus zu fahren, insgesamt muss man zunächst deutlich langsamer fahren, letztlich kostet es aber die gleiche Kraft und Konzentration. Als auch noch ein Materialwagen stehen bleibt um einem Radfahrer bei einer Panne zur Seite zu stehen, kommt das komplette Feld fast zum Stillstand. Ich schaffe es gerade noch nicht ausklicken zu müssen.

Nach einer Weile geht es dann etwas, es gibt aber immer wieder Stellen wo es sehr eng wird, und man sich auch mal akustisch bemerkbar machen muss damit es keine Rempler gibt. Das Kühtai ist so zu fahren wie ich es schon vor wenigen Wochen kennengelernt habe. Während es Anfangs sehr gut geht, empfinde ich die steilen Steigungen ab ungefähr der Mitte als sehr sehr anstrengend. Auch die kommende Erkältung macht sich durch Kratzen im Hals, laufende Nase und leichte Kopfschmerzen bemerkbar.

Im oberen Drittel wird mir dann klar, heute geht es nur ums durchkommen, die zehn Stunden kann ich wohl abhaken. Der Kühtai ist einfach dreckig zu fahren. Gerade als ich solche Gedanken habe steht ein kleiner Junge am Straßenrand, wo, gerade in den Dörfern, die wir durchfahren doch einige stehen und uns anfeuern. Er hält seine Hand zu uns raus und will die „Five“. Natürlich kriegt er die von mir, und warum auch immer, gibt mir das enorme Motivation, so dass auch die nächsten Steilstücke gehen.

Dann kommt der obere Teil mit dem Stausee, da muss man wirklich schon kämpfen, und es ist auch richtig steil. Und schon eine Serpentine drunter sehe ich plötzlich meine „Supporter“. Die Wirkung ist enorm, plötzlich fliegen die Beine, ich will ja schließlich auch gut aussehen, und ich freue mich total. Als sie mich nach der Kehre sehen und mich anfeuern gibt mir das richtig viel Kraft und die letzten zwei oder drei Steilstücke gehen fast locker.

Und ich muss hier gleich zu Anfang erwähnen. Den Ötztaler habe ich zwar nicht gewonnen, aber meine Fans waren die mit Abstand besten und spektakulärsten auf der ganzen Strecke. Andere Radfahrer haben mich sogar darauf angesprochen!
Als hier nochmal ein herzliches Dankeschön, ihr wart einfach super!!

Nachdem ich so das Kühtai hochgepeitscht wurde nehme ich mir an der Labstation oben nur etwas Wasser für die Flaschen und stürze mich dann in die Abfahrt. Ich ziehe nicht mal meine Regenjacke als Windschutz an, obwohl es doch recht frisch ist. Die Abfahrt läuft super, allerdings habe ich überraschenderweise ordentlich Rückenschmerzen, erstens durch die Anstrengung am Kühtai, und auch durch die möglichst aerodynamische Haltung bei der Abfahrt. Einen Gestürzten sehe ich auch, der kann allerdings später wohl weiterfahren.

Die gefürchteten Kühe auf der Straße sehe ich auf der Abfahrt gar keine, bei der Auffahrt waren da allerdings einige, was bergauf natürlich eher willkommene Abwechslung ist. Auch auf der teils recht steilen Abfahrt trete ich noch einen Schnitt von knapp über 200 Watt, das kommt schlicht durch die anderen Fahrer, oder dass man manchmal an einer Gruppe dranbleiben will. Hier erreiche ich auch meine Höchstgeschwindigkeit des heutigen Tages 81 km/h.

Das Feld ist mittlerweile weit auseinandergezogen. Auf dem Weg zum Brenner über Innsbruck versucht man auch immer eine Gruppe zu finden. Wenn man dann an der Führungsarbeit ist, tritt man im Wind meist um die 350 Watt, und ich mache mir schon Gedanken ob ich es nicht schon zu früh übertreibe. Wir fahren in den diversen Gruppen manchmal über längere Zeit 45 km/h auf gerader Strecke.

In Innsbruck fahre ich gerade an zweiter Position einer Gruppe, als wir auf eine Kreuzung fahren. Der Polizist der dort steht gibt keinerlei Signal zur Richtung, so fährt mein Vordermann geradeaus und ich hinterher. Zum Glück stehen an der Kreuzung einige Leute zum Anfeuern, die plötzlich laut zu rufen anfangen. Wir schaffen es gerade noch um die Verkehrsinsel auf die Richtige Strecke…

Dann kommt also der Brenner, die große Unbekannte für mich. Sehr lang, über dreißig Kilometer, aber nicht so steil. Hier reißen auch die Gruppen von vorher außeinander, und nachdem mir einige zu schnell (meist auf flacheren Abschnitten) und die anderen zu langsam (meist auf den etwas steileren Abschnitten) fahren, fahre ich teilweise alleine. Erstmals werfe ich auch einen Blick auf die Landschaft, die ja hier sehr schön ist. Aber das bleibt auch das einzige mal, es interessiert mich weder, noch habe ich die Kapazität dafür frei.

Ich überhole einige der früher gestarteten Classic Radfahrer, die mit Fahrrad Oldtimern den Ötzi bestreiten. Da deren Bremsen natürlich weit von heutigen Standards entfernt sind, und auch meist das Gewicht und die Steifigkeit des Rahmens weit von aktuellen Modellen weg sind, haben die eine ungleich schwerere Aufgabe. Mit einem Koga Miyata Fahrer unterhalte ich mich eine Weile, bevor ich mich verabschiede, denn im Hinterkopf habe ich ja doch die zehn Stunden.

Gerade als der Brennerpass etwas flacher wird, und eine ordentlich Gruppe wirklich wichtig wäre, kommt auch schon der passende Zug von hinten angerauscht. Perfekt. Ich habe zwar Angst zu überziehen, aber alleine im Wind zu fahren macht mich auf jeden Fall platt. So geißeln wir teilweise die alte Brenner Passstraße entlang, und auch hier beteilige ich mich voll an der Führungsarbeit. Entsprechend Körner gehen dabei drauf.

So vorteilhaft die Gruppe in den wenig steilen Passagen ist, als der Pass dann zum Schluss doch endlich ordentlich ansteigt ist plötzlich Betrieb wie im unteren Teil des Kühtai, so dass man sich doch durchsetzen muss, wenn man schneller ist.

In Brenner gibt es dann wieder eine Labstation. Auch hier nur etwas Wasser nachfüllen für die Flaschen und ich gönne mir noch ein Käsebrot. Jetzt geht es wieder hauptsächlich bergab, und obwohl die Strecke auf der anderen Seite ja nur moderat anstieg, gibt es auf der Abfahrt nach Sterzing doch einige schöne steile Stellen. Es reicht immerhin für einen Topspeed von etwas über 77 km/h.

In Sterzing angekommen geht es dann nach wenigen Kilometern in den Jaufenpass. Um ihn kennenzulernen bin ich ihn vor wenigen Wochen erstmals gefahren, und fand der liegt mir perfekt. Keine brutalen Rampen, schön fließend zu fahren. Damals bin ich in 1:15 h hochgefahren. Ich schaue jetzt auch immer mal auf die Gesamtzeit die ich schon verbraucht habe. Um tatsächlich die zehn Stunden zu knacken müste ich wohl nach 6 Stunden in St. Leonhard sein, denn statt der schon gefahrenen 2:45 h von St. Leonhard bis Sölden werde ich heute wohl alleine drei Stunden für das Timmeljoch brauchen.

Ich hätte den Jaufenpass besser vorher nicht fahren sollen. Anfangs geht es noch. Dann kommt irgendwann ein etwas flacheres Stück in einem kleinen Dorf (naja so 5 Häuser vielleicht), und dann hatte ich in Erinngerung, dass bald eine Kurve aus dem Wald rausführt und man auf die letzten Serpentinen blicken kann, und dann ist es auch schon geschafft.

Falsch! Es dauert nicht 3 oder 5 Serpentinen bzw. Kurven länger wie ich gedacht habe und auch nicht 10 oder 12. Der verdammte Pass hört überhaupt nicht mehr auf. Und meine getretenen Leistung sinkt und sinkt. Und nach jeder Kurve eine neue Enttäuschung. Bald kann ich es nicht mehr fassen. Ich werde stocksauer auf diesen Mistpass. Und dabei ist das doch der Jaufen, den ich vor wenigen Wochen regelrecht hochgeflogen bin…

Irgendwann fange ich an zu fluchen. Da offensichtlich alle etwas zu knabbern haben an diesem Pass führt dort ein regelrechter Schweigemarsch hoch. Da löst mein Jaufenpass beschimpfen doch befremden aus. Mir egal, ich finde das Mistding einfach nur noch scheiße, das muss der längste Pass der Welt sein. Die Leistung liegt oft nur noch um 190 Watt. Damit komme ich im Timmelsjoch nicht mal bis Moos.

Irgendwann sehe ich ein, heute zählt nur ankommen. Und ich werde hart dafür kämpfen müssen. Nächste Kurve, immer noch nicht, nächste Kurve, wieder eine Kehre, es geht wieder in die andere Richtung. Diesen Pass fahre ich nie mehr, nicht mal für Geld!

Ich versuche mich zu motivieren, zu kämpfen, aber es it wirklich hart. Irgendwann, kommt dann tatsächlich doch die Stelle die ich schon so viel weiter unten erwartet hatte. Aber was ich da zu sehen bekomme, und was mich beim letzten mal sogar motiviert hat, scheint mir jetzt wie eine fast unlösbare Aufgabe. Egal weiterkämpfen. Mal geht es wieder etwas besser, mal aber auch nicht. Und dann kommt der Punkt wo ich stehenbleibe, und eine Minute verschnaufe, ein Gel und etwas Wasser zu mir nehme.

Wieder auf dem Rad geht es nur die ersten Meter besser, aber immerhin ich erreiche kurz darauf die Labstation, die hier zwei Serpentinen unterhalb der Passhöhe aufgebaut ist.

Wie bei allen Labstationen ist auch hier das Angebot wirklich klasse, und so esse ich eine Suppe, Käsebrot, zwei Stück Kuchen und reichlich Tee. Auch die Flaschen werden natürlich aufgefüllt. Ich gönne mir 10 Minuten einfach nur sitzen, die Beine etwas hochlegen. Dann geht es weiter.

Auf den letztem Stückchen bis zur Passhöhe geht es wieder etwas besser, so 220 Watt kann ich treten. Dass ich letztlich am Jaufen im Schnitt 213 Watt getreten habe finde ich fast erstaunlich. Gedauert hat die Auffahr 1:39 h. Also deutlich länger wie beim ersten mal.

Auf der Abfahrt klappt es dann recht gut, ich bin wieder erholt genug, um konzentriert zu fahren, und da das Feld jetzt sehr weit auseinandergezogen ist, sind auch die nicht immer optimalen Straßenverhältnisse kein Problem. So schnell wie auf den anderen Abfahrten kann man aber auf Grund der Streckenführung nicht fahren. Allerdings sehe ich vereinzelt Fahrer, die eine spektakuläre Abfahrtstechnik haben und mit irren Geschwindigkeiten an mir vorbeirauschen. Sieht super aus, sehr elegant und halt auch sehr schnell.

Ich habe keine Ahnung wie das jetzt am Timmelsjoch wird. Vor allem deutet sich beim Abfahren, wo ja die Beine öfters entlastet sind ein Krampf im linken Oberschenkel an. Trotzdem rechne ich kurz nach, und meine Chancen die zehn Stundenmarke zu knacken sind noch in Takt. Die Frage ist nur wie komme ich das Timmeljoch hoch und wie wieder runter…

In St. Leonhard angekommen geht es gleich weiter auf die Passstraße zum Timmelsjoch. Allerdings halte ich kurz an und lege Beinlinge, Helmmütze und Regenjacke ab, denn jetzt ist es richtig warm geworden. Hier im Tal zeigt das Thermometer des SRM in der Sonne doch tatsächlich 33° C. Auch wenn es oben wohl richtig kühl sein wird, ist mir das egal, denn das ist jetzt der letzte Berg.

Zu meiner Überraschung geht es zunächst recht gut. Selbst die steilen Passagen hinter Moos sind zu bewältigen. Ich habe mich offensichtlich wieder etwas regeneriert. Allerdings ist es insgesamt schon sehr hart. Ich hatte nicht gedacht, dass der Ötzi so eine Quälerei ist. So schnell werde ich keine Berge mehr fahren.

Nach ca. 15 Kilometern wird es dann endlich, endlich für eine Weile flach, und es kommt auch eine Labstation. Hier gönne ich mir nochmal Kuchen, Tee, Melone und Orange und auch die Flaschen werden wieder befüllt. Pause mache ich sonst weiter nicht, die letzen 15 Kilometer zu Passhöhe müssen jetzt auch noch gehen. Ich finde es eigentlich erstaunlich, dass ich soweit gekommen bin.

Um die 10 Stunden Marke zu knacken  muss ich spätestens nach 9:20 oben sein, denn die Abfahrt mit Gegenanstieg hat das letzte mal ca. 40 Minuten gedauert. Theoretisch ist es also noch möglich. Als es wieder in die Steigung geht bin ich zwar mental nicht so indisponiert wie am Jaufen, aber eins ist klar, ich muss mit echten 100% kämpfen. Ich kenne diesen Abschnitt ja recht gut, und habe es mir mental in Teilziele eingeteilt. Und irgendwie hoffe ich inständig, dass Andrea, Maj-Britt und Jörg da oben irgendwo stehen, die Unterstützung würde sicher extrem gut tun.

Der erste lange Abschnitt vor den fünf Serpentinen ist hart, aber die Beine machen noch mit, Allerdings geht es nur über Kampf. Die fünf Serpentinen fallen mir recht schwer, sonst mag ich diese Stelle eigentlich. Und dann stehen sie tatsächlich da. Die Edelfans! Unglaublich wie die drei mich anfeuern. Und automatisch steigt die Zahl auf dem Wattmeter nochmal etwas. Allerdings bin ich wirklich am Limit, ich will eigentlich nur noch, dass es endlich vorbei ist, und der Tunnel kommt. Zum Glück habe ich keine Krämpfe, auch wenn das linke Bein manchmal so eine Andeutung macht. Allerdings gibt es schon ein paar Mitstreiter die es erwischt, und die dann ihr Rad eine Weile schieben, oder durch irgendwelche Dehnungen und Bewegungen versuchen die Krämpfe zu beseitigen.

Der Weg zur nächsten Kehre ist sehr sehr lange. Auch wenn hier große Abschnitte frisch asphaltiert sind ist es einfach nur noch hart. Dann Kehre, und nochmal ein langer Weg zu den letzen drei Kehren vor dem Tunnel. Irgendwie komme ich hoch, aber ich fahre jetzt schon eine ganze Weile am echten Limit. Echte Quälerei. Vor dem Tunnel stehen die drei wieder, so dass ich die letzten steilen Meter nochmal versuche gut auszusehen, der Erfolg ist sehr begrenzt. Die Anfeuerung aber spektakulär.

Dann endlich geht es in den Tunnel, da wird es etwas flacher, und nach dem zweiten Tunnel wird es nochmals flacher. Die letzten paar hundert Meter bis zur Passhöhe, noch mal eine kleine Rampe und dann ist es geschafft. Insgesamt bin ich bis jetzt gut 9:12 Stunden unterwegs. 40 Minuten brauche ich mindestens bis Sölden, das wird eng, aber andererseits ist es tatsächlich möglich die Zehn Stunden zu knacken. Damit hatte ich nicht mehr wirklich gerechnet. Also nur schnell Regenjacke als Windschutz an, und dann Feuer in der Abfahrt. Es geht auch recht gut, dann kommt aber der Gegenanstieg bis zur Mautstelle. Den konnte ich noch nie leiden. Und heute ist er besonders hart. Ich versuche aber weiter am absoluten Limit zu fahren, denn jetzt will ich die 10. Auch wenn ich mir schon einzureden versuche 10:05 oder so wäre auch ok.

Ungefähr in der Mitte des Gegenanstiegs merke ich, dass die Beine wirklich genug haben, Krämpfe deuten sich an. Und sie deuten sich nicht nur an, sondern die Beine tun höllisch weh, aber irgendwie schaffe ich es einfach draufzuhalten. Was für eine Quälerei, ich trete gegen die schmerzenden Beine, und denke mir sowas machst du nie wieder.

Als endlich die Mautstation erreicht ist, versuche ich auch in der Abfahrt alles zu geben. Das konsequente draufhalten hat die Schmerzen in den Beinen vertrieben. In Obergurgl gibt es nochmal eine flache Passage, hier peitscht heftiger böiger Wind, das Fahrrad schwankt wild umher, ich ignoriere es einfach. Dann geht es wieder steil bergab bis Zwieselstein.

Die, die jetzt um mich herum fahren, kämpfen alle darum die zehn Stunden zu unterbieten. Vor mir fährt ein schlechter Abfahrer, fährt dabei aber so blöd, dass ich ihn nicht überholen kann, so quetsche ich mich in einer Kehre mit sanfter Gewalt vorbei, was mir einige italienische Flüche einbringt. Mein einziger Gedanke ist aber der Kampf gegen die Uhr, denn jetzt geht es nochmal etwas bergauf. Ich bin mir nicht sicher wie lange, und wie lange das letzte Teilstück ist. Ich weiß nur, ab der Mülldeponie geht es nur noch bergab.

Und dann endlich die Mülldeponie, und kurz danach kann ich den Ortseingang Sölden sehen. Die Zeit steht bei 9paarundvierzig. Jetzt weiß ich, es muss klappen. Ich gebe in der restlichen Abfahrt nochmal alles, und versuche auch durch Sölden hindurch nochmal Druck zu machen. Aber da ist nicht mehr viel. Dann das 1000 Meter Schild. Das muss muss muss klappen. Aber ich bin auch mit meinen Kräften komplett am Ende. Ich dachte hier hilft mir die Euphorie, das es gleich vorbei ist, stattdessen bin ich so platt, dass ich am 500 Meter Schild am liebsten aufgegeben hätte. Ich kann nicht mehr.

Natürlich fahre ich weiter, und nochmal bekomme ich Anfeuerung von den dreien, und auch einige andere stehen auf den letzten Metern und feuern jeden Fahrer an. Noch 200 Meter. Ist Gerrit Glomser hier nicht irgendwo falsch abgebogen und hat vor einigen Jahren dadurch den Sieg verschenkt? Dann kommt die Brücke, man muss von der Hauptstraße nochmal rechts abbiegen, Richtung Freizeit Arena, wo das Ziel ist.

Piep, die Zeitmessung, die Ziellinien, das Ziel! Ich rolle noch ein paar Meter in den Zielbereich, da stehen lachende, fröhliche Menschen. Ich versuche nur vom Rad zu kommen, es dauert endlos bis ich einen Platz finde wo ich es irgendwie hinstellen kann, alles voll mit Menschen. Ich bin komplett am Ende. Der Computer zeigt 9:52. Meine Lippen sind eingeschlafen, ich kann nicht mehr stehen, ich versuche mich einfach auf den Boden zu legen, aber der ganze Krimskrams im Trikot verhindert das. So sitze ich da, leicht feuchte Augen, aber zum heulen vor Freude bin ich viel zu kaputt. Das war das absolute Limit. Ich hätte keine Minute, ja keine Sekunde schneller fahren können.

Nach einer Weile kann ich immerhin aufstehen, und schnappe mir mein Rad und gehe aus dem Zielbereich. Da kommt auch schon mein „Betreuerteam“ (nee ich habe auch heute keine Bratkartoffeln gegessen). Ohne die spektakuläre Unterstützung der drei hätte ich die zehn Stundenmarke nicht geknackt. Am Kühtai hat mich das nochmal richtig beflügelt, und vor allem am Timmelsjoch hat es mir geholfen durchzuhalten. Also nochmal herzlichen Dank!!

Nach zwei Milchcafe, einer Apfelschorle, einer Flasche Wassser und einer Portion Spaghetti geht es mir wieder besser. Nachdem das Fahrrad im Zimmer untergebracht ist, und ich endlich die Radschuhe ausziehen kann, gehe ich nochmal zur Arena um den Zeitmesstransponder abzugeben und das Finisher Shirt abzuholen. Just in dem Moment trifft Elisabeth im Ziel ein, die auch beim Radsportcamp dabei war. Wir hatten uns gestern schon getroffen und uns gegenseitig Glück gewünscht für unsere Ziele, und nun haben wir es beide geschafft, wie geil. Ich treffe auch noch andere die in der Trainignswoche dabei waren, und auch die waren alle zufrieden. (kann man mit 8:39 z.B. ja auch sein…)

Nach einer weiteren Portion Nudeln treffen, als ich gerade ins Hotel zurück will, die allerletzten Finisher ein. Es ist mittlerweile schon dunkel, und die Zeit liegt so bei 13:paarundreißig. Die werden natürlich gefeiert wie Sieger. Seit heute weiß ich sehr genau, was jeder geleistet hat, der hier finisht.

Der Ötzi war sicher die richtige Wahl um das Marathonfeeling sportartübergreifend kennenzulernen. Das Kämpfen am absoluten Limit, die Quälerei als die man es zwischendurch empfindet, das Erstaunen, was man selbst zu leisten im Stande ist, und natürlich das tolle Gefühl sein Ziel zu erreichen.

Außerdem ist die Veranstaltung perfekt organisiert, die Verpflegunsstationen sind absolut super, es geht flott, die Leute die dort arbeiten sind freundlich und hochmotiviert, und es gibt viele verschiedene leckere Sachen in guter Qualität. Das Preis-/Leistungsverhältnis ist wirklich gut. Den Ötzi kann man als Veranstaltung nur empfehlen. Und auch das Zuschauen und Anfeuern macht offensichtlich viel Spaß…

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5 Kommentare

  1. jörg Lehnhäuser 31. August 2010

    Es war für alle Beteiligten ein super Tag.
    Extrem emotional und ergreifend – und Guido in blendender Form.
    Ich bin gespannt, wann der Berg Dich wieder ruft !?!
    So long,
    GO, Guido, GO

  2. Maj-Britt 31. August 2010

    Ich kann mich der Meinung meiner beiden Mit-Fans nur anschließen! Mir war bis Sonntag nicht bekannt, dass ich zu solchen Gefühlsausbrüchen fähig bin… Nicht mal beim Robbie Williams Konzert ;o)))))))

  3. Christian 2. September 2010

    Danke für den feinen Bericht. Mein Wunsch da mal zu starten ist immens gestiegen.

  4. Anonymous 11. September 2010

    hammer Bericht, auch mein Ziel ist es den Ötzi zu fahren!

  5. speiche59 20. Juni 2013

    Auch ein Super Bericht,Gänsehaut beim Lesen!!

    Peter

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