steilberghoch

Ultracycling und Alpenpaesse

RAAM 2017 Rennbericht Teil 4 – Hitze, Kälte, Höhenmeter

Die Idee war, dass es nun etwas abkühlt und ich mich auf den nun folgenden beiden Anstiegen nach Prescott hochschraube. Der erste ist moderat mit Steigungsprozenten meist um 6%, der zweite ist laut Roadbook ganz fürchterlich, was aber meiner Meinung nach totaler Quatsch ist, der ist nicht viel schlimmer als der erste.

Aber das RAAM mag dieses Jahr seine Höhenmeter nicht so einfach hergeben. Als ich in den Yarnell Grade hineinfahre steigt die Temperatur erst mal. Hm, ok hier am Anfang, ist das vielleicht normal. Aber auch nachdem die Straße mehr in den Berg hinein führt und schon etwas Höhe gewonnen ist, wird es nicht besser, im Gegenteil die Temperatur steigt weiter und pendelt sich bei 43° C ein. Puh, damit hatte ich so nicht gerechnet und die Freude darüber, dass ich die Wüstenhitze überstanden habe verfliegt recht schnell.

Ich muss ganz schön kämpfen. Es dauert eine ganze Weile bis ich die Situation akzeptieren kann und einen Rhythmus finde. Die Followcar Crew feuert mich an, ich trinke mittlerweile sogar Cola. So früh im Rennen, da läuft ernährungstechnisch wirklich was schief! Cola schmeckt wirklich nur eiskalt und auch nur der erste Schluck mit viel Kohlensäure, der Rest schmeckt einfach widerlich, so dass ich nur zwei Schlucke aus der Flasche nehme und sie dann wieder zurückgebe. Bzw. muss ich sie erst mal ins Trikot stecken, denn es ist ja Leapfrogsupport vorgeschrieben.

Ich habe tierisch Bock auf frisches Obst. Die Gedanken von Ananas, und reifen Mangostreifen, Kiwi und Himbeeren nehmen einen nicht unerheblichen Teil meiner geistigen Kapazität in Anspruch…

Aber der Rest denkt über die Hitze nach. Und der für mich neue Abschnitt nach Camp Verde kommt ja noch, der soll sehr heiß sein. Dieses RAAM ist wirklich hart. Anyway, als ich merke, dass ich trotz der Hitze einen halbwegs brauchbaren Rhythmus habe, nicht superschnell, aber auch nicht völlig lahm, kann ich mich sogar auf die kleine Abfahrt freuen. Und ich scheine mich sogar den direkt vor mir fahrenden etwas zu nähern.

Als ich den ersten Anstieg geschafft habe ist Gulewicz nicht mehr weit vor mir. Ich genieße die paar Meilen bergab, dieser Streckenabschnitt gefällt mir schon seit der ersten Befahrung im März 2014. Ich versuche etwas Druck zu machen.

Und es dauert gar nicht so lange, da geht es auch schon in den zweiten Anstieg. Auch hier ist es jetzt noch sehr heiß, die Temperaturen liegen hoch in den Dreißigern. So will ich irgendwas zur Hitze sagen als ich die 316 überhole, aber irgendwie kommen die Gedanken nicht als Worte aus dem Mund, sondern versickern irgendwo auf dem Weg dahin. Gerhard ruft mir noch zu, „good job“, sieht aber gerade nicht sehr gut aus. Die Hitze scheint ihm noch mehr zu schaffen zu machen als mir.

Das Überholen baut mich weiter auf und ich fahre eigentlich ganz ordentlich. Als ich Seanna Hogan überhole stöhne ich trotzdem „this heat kills me“, sie fängt daraufhin ein Gespräch an, damit hatte ich nicht gerechnet und bin schon längst an ihr vorbeigefahren, was sehr unhöflich gewirkt haben muss. Sorry, war nicht so gemeint.

Der Anstieg zieht sich dann aber noch ganz schön. Und ja, er ist an manchen Stellen doch etwas steiler. Aber ich komme irgendwie hoch und habe vor allem keine Knieprobleme. Noch im Hellen geht es dann hinab nach Prescott. Zwischendurch kommt mir die Strecke seltsam vor und ich frage mehrmals ob wir richtig sind, aber alles ist in Ordnung und so um sechs Uhr abends erreichen wir Prescott. Bis jetzt haben alle Navigatoren im Followcar sehr souverän agiert.

Das Wohnmobil steht am Walmart, ich bestelle Fanta und vor allem Cantaloupe Melone. (Das ist glaube ich die schwierigste Aufgabe die ich der Crew während des gesamten Rennens gestellt habe, sie kann sie bis zum Zieleinlauf in Annapolis nicht lösen…;)

Nach Toilettenpause, Forticreme Puddings und etwas fester Nahrung im Schnelldurchgang fahre ich weiter. Ich bin ziemlich happy, dass das Knie bis jetzt gehalten hat. Ich bin sehr gespannt auf den kommenden Abschnitt. Allerdings ist die Hitze kein Problem mehr, da es jetzt Abend geworden ist und ich in die zweite Nacht hineinfahre.

Der erste Teil der Strecke kommt mir sehr bekannt vor. Bis Cottonwood ist die Strecke so wie 2014. Zunächst alles ganz moderat, dann kommt irgendwann ein recht langer Anstieg, der aber sehr schön und nicht zu steil ist. Ich komme eigentlich ganz gut hinauf, noch immer ist es einigermaßen hell, so können wir auch die Abfahrt hinunter nach Jerome noch bei Einbruch der Dämmerung nehmen.

Zwei, drei Mal ist Wild auf der Straße, ich kann aber immer problemlos abbremsen, bzw. die Tierchen hüpfen davon bevor ich sie erreiche. Die Followcar Crew ist aber ziemlich angespannt. Und auch wenig empfänglich für meine Hinweise auf die unglaubliche Landschaft hier. So stelle ich die Ansage der touristischen Informationen ein. Auch als wir ein oder zwei Serpentinen vor Jerome an diesem fantastischen Aussichtspunkt vorbeifahren.

In Jerome gilt ein strenges Tempolimit von 15 m/ph, das wird auch von Officials überwacht. Allerdings ist jetzt wenig los im Ort und wir fahren recht problemlos hindurch. Dann geht es hinter dem Ort wieder in eine steilere Abfahrt. Das Followcar macht einen ziemlich guten Job und bleibt immer schön dran, denn wir haben ja Directfollow vorgeschrieben, da wir uns im Nachtmodus befinden, und da muss ich immer im Lichtkegel des Fahrzeugs bleiben, was bei kurvigen Abfahrten einiges an Fahrkunst und Mut des Followcarfahrers erfordert.

Auf recht flacher Straße geht es dann nach der Abfahrt noch zehn, zwölf Meilen bis Camp Verde. Allerdings darf ich nicht alle Meilen mit dem Rad zurücklegen, denn wegen einer Baustelle müssen wir ein paar Meilen im Followcar „geshuttled“ werden. Ich nehme das als willkommene Pause.

Das Wohnmobil steht in Flagstaff und so gibt es keinen Aufenthalt an der TS7 Camp Verde, sondern nach dem nicht unangenehmen Shuttle Service geht es gleich weiter in Richtung Flagstaff. Ich lasse mir aus dem Followcar die Streckenbeschreibung vorlesen und bin etwas schockiert. Da steht „a hundred Miles with almost 10.000 feet of climbing“. Echt jetzt? 10.000 geteilt durch drei sind 3000 Höhenmeter. Vor allem sind die ja alle eigentlich an einem einzigen Anstieg zu bewältigen. Hm, ich glaube einfach ich habe das mit dem Umrechnen nicht mehr so richtig drauf. Wird schon nicht so schlimm werden.

Wird‘s aber! Schon nach wenigen Meilen geht es berghoch. Steil berghoch. Und es hört nicht mehr auf. Ich weiß nicht, ob ich jetzt in der zweiten Nacht schon so platt bin oder ob der Anstieg wirklich so brutal ist, aber es geht unablässig steil berghoch. Mit viel zu niedriger Trittfrequenz quäle ich mich Meter um Meter nach oben. Klar, etwas Leistung geht auch verloren, weil wir ja über 2000 Meter hoch sind, aber es ist echte Qälerei. Noch dazu bin ich ungewohnt müde für die zweite Nacht. Will heißen, die Mustererkennung im Gehirn hat keine bewussten Filter mehr und die vielen dunklen Linien auf der Straße werden zu Figuren und Bildern, die ich immer gerade noch so wegwischen kann wenn ich darauf zu fahre.

Ich bin wirklich ganz schön am ächzen, obwohl es jetzt recht kühl geworden ist, krieche ich den Anstieg hinauf.

Ich weiß nicht wie lange es gedauert hat, gefühlt Stunden, als endlich der höchste Punkt erreicht ist. Na endlich, Abfahrt nach Flagstaff. Stimmt natürlich nicht ganz, es gibt immer mal wieder Gegenanstiege, aber das sollte jetzt doch entspannter werden.

Wird‘s aber nicht. Die Temperatur ist mittlerweile extrem gesunken und mir ist tatsächlich kalt, abgesehen davon bin ich recht müde. Ich muss anhalten, Klamotten anziehen, nochmal anhalten Handschuhe anziehen.

Die Temperatur sinkt weiter. Macht mir normalerweise gar nix aus. In Irland bin ich die meiste Zeit kurz / kurz gefahren, während andere da mit langen Hosen und dicken Jacken hantiert haben. Aber jetzt killt mich die Kälte. Die Temperatur sinkt bis auf minus drei Grad! Minus drei Grad. Ich kann es nicht glauben, vor allem aber kann ich nicht mehr fahren. Ich will stehen bleiben. Aus dem Followcar kommt die Ansage „weiterfahren“.

Ich friere ohne Ende, trotz Jacke und Handschuhen, ich bin müde, ich will nur noch in diesem verdammten Flagstaff ankommen, ins warme Wohnmobil, ich brauche einen heißen Tee, ich will schlafen!

Die Strecke zieht sich. Mit etwas über hundert Meilen ist dieser Abschnitt auch noch recht lang, die Nacht scheint nicht aufzuhören, die TS unendlich weit weg und ich bin nur kalt und müde. Die Followcarcrew feuert mich an durchzuhalten. Ich muss durchhalten. Das Denken funktioniert aber nicht mehr gut, ich bin zu kalt.

Es wird hell, bleibt aber kalt. Und erst nach einer gefühlten Ewigkeit bekommen wir eine Ahnung von der Silhouette der Stadt. Zum Glück weiß ich wie weit es noch ist bis wir tatsächlich die Stadtgrenze erreichen. Und auch, dass der Walmart noch einige Meilen in Richtung anderes Stadtende liegt. Dann kommt auch noch die Meldung rein, dass die WoMos nicht am Walmart stehenbleiben durften und nochmal 2,5 Meilen weiter fahren mussten.

Man versucht es mir schonend beizubringen, aber es macht mir nicht so viel aus. Ich bin jetzt schon in der Stadt und weiß, dass ich mich demnächst aufwärmen kann, das ist es was zählt, mein Gehirn funktioniert wieder besser, die leichten Halluzinationen sind überwunden.

Und dann erreichen wir endlich das Wohnmobil, was für ein Fest. Tee, ich brauche unbedingt einen Kamillentee. Das war jetzt wirklich eine Tortur, erst 43° C in den Anstiegen nach Prescott, dann der harte Anstieg von Camp Verde aus, und zum Schluss noch -3° C in der Abfahrt nach Flagstaff, meine Ahnung wird bestätigt, 2017 wird ein beinhartes RAAM. Die Etappe hat jetzt fast neun Stunden gedauert. Und wir haben noch nichts erreicht. Ich liege aber natürlich besser in der Zeit als 2014, als ich ab TS6 massiv Zeit verloren habe und mir ist eigentlich immer noch nicht klar, wie ich mich damals nach Flagstaff schleppen konnte und gar die Rocky Mountain Pässe überwunden habe.

Anyway, ich bin glücklich im Wohnmobil zu sein, und mir geht es schon wieder deutlich besser. Die Beine werden von Olli und Rebecca behandelt, Meike misst die Körperparameter, das Forticreme schmeckt lecker.

Ab jetzt sehe ich aber definitiv wie ein RAAM Fahrer aus. Als ich beim Überholen in das Gesicht von Gulewicz geschaut habe, sah das genau so aus, wie ich mich gefühlt habe. Ab dem dritten Tag geht es keinem mehr richtig gut, vor allem da uns das Rennen nun schon einiges abverlangt hat. Es kommt nun darauf an, dass was der Körper noch hergibt auch wirklich abzurufen, jetzt wird sich die Spreu vom Weizen trennen und ab Trinidad wird sich zeigen wer um eine Platzierung kämpfen kann und wer nur noch ums Überleben im Sinne von Finish oder DNF kämpft.

Während ich auf dem Fahrrad saß hatte ich nur den einen Wunsch, Tee und eine Schlafpause um mich aufzuwärmen. Nun ist aber die Sonne längst aufgegangen und ich fühle mich wieder besser. Ich wärme mich zwar etwas auf und trinke Tee, bekomme sogar Obst (keine Cantaloupe Melone) und Rührei, fahre aber dann weiter. Olli und Meike sind sich etwas uneinig über die Klamotten die ich für die Weiterfahrt tragen soll, ich höre auf Meike, vergesse dabei aber, das Olli mich erstens in dieser Hinsicht sehr gut kennt und zweitens immer Recht hat. (was bis Ende des Rennens auch nicht widerlegt werden konnte…)

So fahre ich in etwas zu warmer Kleidung weiter, der Sonne entgegen auf nun schon recht belebter Strecke. Ziel ist erst mal das Monument Valley.

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