steilberghoch

Ultracycling und Alpenpaesse

Stilfser Joch die 2.

Freitag 04.09.2009

Das Stilfser Joch war der erste Alpenpass, den ich mit dem Rennrad erklommen habe, das ist jetzt zwei Monate her. Damals war ich noch trainiert von der achtzigtägigen Großbritannientour, jetzt interessiert mich schon, wie viel von dieser Form mittlerweile dahin ist. Außerdem bin ich damals die Südrampe nicht gefahren, es gibt also mindestens zwei gute Gründe, diesen Pass nochmal zu fahren.

Diesmal hatte ich definitiv keine Lust auf diese Stausteherei. So habe ich beschlossen nachts um 1:00 Uhr zu fahren. Bei ca. 6 Stunden Fahrtzeit, kann ich um halb acht auf dem Fahrrad sitzen und die erste Tour schon am Freitag fahren.

Es stellt sich nämlich das Problem, dass ich einerseits gerne die Südrampe von Bormio aus kennenlernen würde. Dazu muss ich von Prad aus Nordrampe hoch, Südrampe runter, und dann Südrampe hoch und Nordrampe runter. Ein brutales Programm.
Andererseits, möchte ich gerne die mögliche Runde von Prad die Nordrampe hoch, auf der Südseite runter, bis zum Abzweig zum Umbrail Pass, und diesen hinunter erkunden, so dass ich nach einem Abstecher in die Schweiz wieder auf Flachkilometern nach Prad zurück komme.

Ich beschließe deshalb einfach beides zu machen. Das „Ausfahren“ aller Möglichkeiten hat am Großglockner schon viel Spaß gemacht.

Dummerweise vergesse ich mein Handy auszuschalten, und so nützt das frühe ins Bett gehen nichts, sondern ich bin um halb zehn wach und kann nicht mehr einschlafen. Also setzte ich mich einfach ins Auto und fahre los. Da ich erwartungsgemäß gut durchkomme und sich unterwegs keine Übernachtungsmöglichkeit anbietet komme ich um 5 Uhr morgens in Prad an.


Die Wettervorhersage im Radio lautet heftiger Regen mit Muränenabgängen und Steinschlag ind den Bergen. Stimmt. Es schüttet was das Zeug hält. Die andere Ansage war, dass die Schneefallgrenze auf 2000 Meter sinkt. Hm, vielleicht hätte ich mir das um die Ohren schlagen der Nacht schlicht sparen können. Denn am Iseran habe ich gelernt, dass man damit keine Späße macht. Ich habe aber auch am Glockner gelernt, dass man nicht überreagieren muss.

Als kuschele ich mich auf die Rückbank zu meinem Fahrrad und versuche ein,zwei Stunden zu schlafen. Also im Bett verstehen wir zwei uns nicht, dass kann ich als Fazit ziehen. Jetzt wäre ein Wohnmobil ganz gut. Um sechs Uhr gebe ich auf, Krämpfe in den Beinen, Rückenschmerzen, Ziehen im Nacken. Ein klassischer Flop.

Es schüttet noch immer, Berge habe ich noch keinen einzigen gesehen, die sind von Wolken eingehüllt, und ich fühle mich wirklich „gerädert“, aber irgendwie habe ich tierisch Lust Fahrrad zu fahren. Regenklamotten habe ich natürlich dabei. Jetzt müsste ich nur noch ein Cafe zum Frühstücken finden, mit guten sanitären Anlagen. Um die Uhrzeit in Prad, das wird knapp. Ich fahre mit dem Auto ein Dorf weiter, und dann wieder zurück, nix. Als ich ins Industriegebiet von Prad einbiege sehe ich ein großes Schild „Bar“ aufleuchten. Und vor allen Dingen „geöffnet“. Es ist halb sieben. Das kann eigentlich nur ein Erotiketablissement sein. Die Außenbeleuchtung sieht auch so aus. Ich fahre einmal drumherum und gehe dann rein. Die Erotik beschränkt sich auf wenig muskulöse Elektriker vom Werk nebenan. Dafür gibt’s Kaffee und belegte Brötchen, und alles andere auch. Na bitte.

Nachdem ich einen Parkplatz an der Stilfser Joch Straße gefunden habe, und es mit der in jahrelangem harten Yogatraining erworbenen Beweglichkeit geschafft habe, mich im Auto umzuziehen, sitze ich um viertel vor neun endlich auf dem Fahrrad.


Es regnet nur noch, d.h. es schüttet nicht mehr. Allerdings bin ich der einzige Radfahrer. Schneefallgrenze bei 2000, die Nacht durchgefahren, und nur gegessen was es in der „Bar“ zu kaufen gab. Eher nicht so gute Bedingungen. Ich beschließe heute auf keinen Fall nach Bormio runterzufahren, wenn überhaupt dann Umbrailpass. Vielmehr hoffe ich aber überhaupt hochzukommen. Und wenn es schneit kehre ich um. Und wenn ich schlapp mache auch.

Anfang Juli bin ich hier ja bei Sonnenschein recht gut hochgekommen, und war oben nicht mal richtig platt. Allerdings hatte ich da noch die 6900 Trainingskilometer in GB in den Beinen. Und der Enthusiasmus, das erste Mal einen Alpenpass hochzufahren, und noch dazu einen richtig schweren, hatte mich natürlich beflügelt.

Anyway, zunächst geht es eigentlich. Ich brauche etwas um vom passiven „Sitzen und Lenken“ im Auto auf „Treten und Kämpfen“ auf dem Fahrrad umzuschalten. Aber die Bewegung tut auch gut, und die Müdigkeit geht schnell weg. Durch die heftigen Regenfälle stürzen die aufgewühlten Wassermassen parallel zur Straße ins Tal. Beeindruckend. Regen macht mir seit Irland nicht mehr viel aus, ich hoffe nur, dass die Füße trocken bleiben.


Diesmal habe ich noch einen Gang mehr zur Verfügung wie beim ersten Mal, trotzdem fehlt etwas die Leichtigkeit. Aber bis zum Start der 48 Kehren ist alles OK. Und die erste Kehre (48, es wird runtergezählt) ist eine besondere Motivation. Ich setze mir 39 als erstes Teilziel. Das dauert aber länger wie ich es in Erinnerung hatte.


Und irgendwie hatte ich das ganze Ding „leichter“ in Erinnerung. Und wie beim letzen Mal und auch von anderen berichtet, gibt es zwischendurch Steigungen bis 18%, aber nur kurz, und einige 14% Abschnitte. Im allgemeinen wird in der Literatur als Höchststeigung immer 12% angegeben.



Zwischendurch regnet es mal kaum noch, dann geht’s aber wieder richtig los. Bei den Händen habe ich mich gegen Handschuhe entschieden, habe aber lange Sealskin Handschuhe aus Irland dabei. Ansonsten bin ich halt von außen nass durch den Regen, und auf der Innenseite der Kleidung durch den Schweiß, denn die Regenklamotten transportieren natürlich noch weniger Flüssigkeit nach außen wie die normalen Trikots und Hosen. Und diesmal habe ich auch einen Helm auf, mit Helmmütze, da vor Steinschlag und Erdrutschen gewarnt wurde.


Bei Kehre 26 muss ich eine 4 minütige Pause einlegen. Ab da ist der Unterschied zur ersten „Besteigung“ deutlich. Nix mit Haushalten mit den Reserven, sondern alles geben, damit ich überhaupt vorwärtskomme. Ab Kehre 20 wird es richtig kalt, und der Regen wird wieder heftig. Vor allem gibt es von den ungeraden zu den geraden Kehren heftigen kalten Gegenwind. Zusätzlich merke ich natürlich auch die Höhe, denn jetzt hat’s über 2000 Meter.


Aber von Schnee ist nichts zu sehen. Es ist zwar kalt und ich friere, wenn der Windchilleffekt so richtig zuschlägt, aber man kann ab Kehre 20 bis oben hin schauen, und alles ist grün, äh grau. Irgendwo um die Kehre 15 mache ich nochmal fünf Minuten Pause und fülle meine Flaschen mit frischem Bergquellwasser. Obwohl es noch berghoch geht ziehe ich die Handschuhe an, es ist einfach saukalt.





So kämpfe ich Kehre um Kehre weiter, bis ein bisschen Entspannung durch einen frisch geteerten Abschnitt kommt. Im Unterbewusstsein weiß ich noch, dass es jetzt dem Ende zugeht. Außerdem bringt der glatte Belag deutlich Erleichterung durch weniger Rollwiderstand. Und wenn man am Limit kämpft merkt man das erstaunlich deutlich.


Ich hatte mir Kehre 9 nochmal als Teilziel gesetzt, aber es ist klar, wenn ich die erreiche geht der Rest auch. Kehre fünf verschafft die Gewissheit. Und dann endlich Kehre 1. Da steht eine Japanerin und fotografiert mich, dafür fotografiere ich sie zurück…


Jetzt sind es noch ein paar hundert Meter. Es ist bitter kalt, denn der kalte Wind peitscht mir entgegen, aber die letzten Meter sind trotzdem geil.

Ich bin die komplette Strecke gefahren ohne einen einzigen anderen Radler zu sehen. Die Bedingungen waren auch schlicht hart. Aber oben ist oben. Statt Remmidemmi und Souvenirs ist diesmal, logischerweise, nix los. Selbst das Schild ist nicht aufgebaut, alle haben sich vor Regen, Wind und Kälte verkrochen. So stelle ich mich vor das „offizielle“ Schild, denn das wird logischerweise nicht abgebaut.


Oben ist oben ist oben ist oben. Nicht das gleiche Glücksgefühl wie beim ersten mal, aber geil ist es trotzdem, gerade weil die Bedingungen so schlecht sind. Die Zeit ist deutlich schlechter wie beim ersten mal.

Ich verziehe mich in ein Hotelrestaurant. Der Versuch die Klamotten ein bisschen zu trocknen scheitert kläglich, der Versuch was zu essen genauso. So trinke ich drei Tassen Tee und versuche mich von innen aufzuwärmen.

Die Handschuhe sind alles nur nicht wasserdicht, das wird heikel (bzw. kalt) bei der Abfahrt. Ich bin noch unentschlossen, ob ich einfach wieder zurück fahre oder über den Umbrailpass, denn da gibt es unbefestigte Abschnitte, was bei diesem Wetter mit dem Rennrad unangenehm werden könnte. Ich entschließe mich trotzdem für Letzteres.

Die ersten paar Kilometer auf der Südseite runter sind der Hammer. Der Wind bläst so heftig und kalt, dass ich einerseits Schwierigkeiten habe nicht vom Rad geweht zu werden, und andererseits scheint mir die Nase und die Augenbrauen zu Platzen vor Kälte. Natürlich muss ich an den Iseran denken, und meine nassen Handschuhe machen mich nicht zuversichtlich.



Als ich oben auf der Passhöhe war hatte ich noch zwei andere Radler im Abstand von einer Viertelstunde oben ankommen sehen. Und auch jetzt sehe ich zwei, drei Radler, die an dem Gebäude einer geschlossenen Gaststätte vor dem brutalen, kalten Wind Schutz suchen.

Ich fahre weiter, denn je tiefer ich komme, desto wärmer wird es wohl werden, da macht es keinen Sinn sich hier oben hinzustellen und ebenso zu frieren.


Der Umbrailpass ist noch einsamer wie das Stilfser Joch heute. Jetzt fehlen nicht nur die Radfahrer sondern auch noch die Autofahrer. Aber interessant ist der Pass schon. Eine sehr schmale Straße, die mit einem kleinen Band abgespannt ist. Das hält nicht mal ein Fahrrad auf, wenn du die Böschung runterfällst. (Vielleicht eine Form von Schweizer Humor…).


Die Straßenqualität geht zunächst, dann wird es so knapp vor Kopsteinpflasterartig. Es rüttelt ordentlich, außerdem friere ich wie Sau in den nassen Klamotten. (was machen eigentlich die Entwickler von Radbekleidung in ihrer Freizeit, haben die schon mal auf dem Rad gesessen, oder fahren die nur in Sizilien??)

Ich halte trotz der Bedingungen ab und zu an, um wenigsten ein paar Fotos zu machen. Irgendwann hört dann für ca. drei Kilometer der Asphalt auf. Aber trotz des Wetters ist es eigentlich ganz brauchbar zu fahren.



Als auch diese Strecke überwunden ist, hat es fast aufgehört zu regnen, und der Wind peitscht hier nicht mehr so. Allerdings bin ich, und das Fahrrad natürlich auch, ordentlich eingesaut. Egal, jetzt wird der Belag immer besser je weiter man nach unten kommt und irgendwann hört es tatsächlich ganz auf zu regnen.



Ziemlich unten schon, bietet sich dann ein toller Blick ins Tal, mit den tiefhängenden Wolken.



Der Abschnitt von Santa Maria zurück bis Prad auf abtrocknender Strecke ist dann noch mal eine schöne Belohnung. Eine lange Abfahrt durch die Schweiz zurück nach Prad auf gut ausgebauter und asphaltierter Straße.

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