steilberghoch

Ultracycling und Alpenpaesse

Sustenpass

Der Blick morgens aus dem Fenster zeigt zu meiner Überraschung blauen Himmel und Sonnenschein. Gestern hatte ich ja großes Glück mit dem Wetter, denn ich bin immer im Trockenen gefahren, obwohl es ja zwischendurch auf der Nordseite des Grimsel geregnet hatte. Und kaum, dass ich im Hotel war hat es wieder geregnet und gewittert.

Aber jetzt ist das Wetter so gut, dass ich auf jeden Fall fahren muss. Nach dem Frühstück und dem Auschecken aus dem Hotel sitze ich um viertel vor Acht auf dem Fahrrad. Das Auto lasse ich in Meiringen stehen, auch wenn ich erst überlegt habe mit dem Auto nach Innertkirchen zu fahren, denn falls das Knie versagen sollte könnte ich einfach den Sustenpass herunterrollen ohne das ich nochmal Höhenmeter machen müsste. Aber wird schon.

Wenn ich den Sustenpass von beiden Seiten fahre komme ich auf jeden Fall über 3000 Höhenmeter. Wieder wäre es wohl sinnvoll nur die Westseite zu fahren, aber genau die Seite die ich beim Alpenbrevet fahren muss ist ja die Ostseite von Wassen. Ich beschließe erst oben zu entscheiden und erst mal zu hören was der Körper, speziell Beine und Knie sagt bzw. sagen.

Die Westauffahrt von Innertkirchen ist 28 Kilometer lang mit 1605 Höhenmetern, da muss ich erst mal hochkommen. Auf dem jetzt wohlbekannten Weg nach Innertkirchen merke ich schon, dass die Höhenmeter von gestern noch im System stecken. Der Puls ist ca. 15 Schläge niedriger wie gewohnt, und der Ruhepuls war heute morgen 7 Schläge höher als gestern morgen.

An der Kreuzung in Innertkirchen, an der man sich zwischen Grimsel und Susten entscheiden kann starte ich die Zeitmessung und dann geht es auch gleich ordentlich berghoch. Die Landschaft ist recht idyllisch, die Sonne scheint, die Temperatur passt, also optimale Bedingungen.

Der Susten ist recht spät gebaut worden, Ende der 1930er Jahre, so dass die Straße recht breit ist. Der Belag ist sehr gut. Nach der ersten etwas steilen Passage wird es nach dem ersten von vielen Tunneln wieder etwas flacher. Und das wiederholt sich dann einige Male. Etwas steilere, teils zehnprozentige Stücke mit Kurven und dann wieder längere flache Abschnitte, mit manchmal nur zwei bis vier Prozent, die meist eher geradeaus gehen.

Noch recht weit unten gibt es eine Abzweigung zur Engstlenalp Bergstraße. Die lasse ich aber heute links liegen, dafür habe ich insgesamt zu viele Höhenmeter an diesen zwei Tagen auf dem Programm.

Ab Nessental wird es dann wieder etwas steiler und es folgen weitere Tunnel. Frontlicht braucht man keines, aber Rücklicht mach schon Sinn, da auch hier recht viel Auto- und Motorradverkehr ist. Auch wenn es um diese Uhrzeit noch einigermaßen geht.

Vor dem Ort Fuhren wird es wieder flach und man fährt auch durch den Ort bei nur mäßiger Steigung. Allerdings ist man jetzt weit in das Tal vorgedrungen und die Berglandschaft zur Linken ist spektakulär. Die schrägen bewaldeten Hänge gehen für einige Meter in grüne Graslandschaft über, bis dann die Felsen kahl und steil empor ragen. Diese spektakuläre Szenerie thront über dem idyllischen Tal. Und mittendrin ich mit meinem Fahrrad. Das ist schon richtig richtig geil.

Ab Gadmen wird es wieder deutlich steiler. Es gibt viele Kurven und Tunnels, und kurze Abschnitte, die herrliche Blicke zurück ins Tal gestatten.

Das der Susten nicht über 9% Steigung hinausgeht halte ich für ein Gerücht. Nicht nur der Radcomputer, sondern mein auch ganz gut geschultes Gefühl zeigen in diesem Abschnitt öfter mal mehr als 10% an, und auch die 14% Marke blinkt zwischen zwei Tunnels kurz auf. Allerdings entspannt sich die Steigung auch wieder, selbst in diesem Teil gibt es auch (nicht mehr ganz so) flache Abschnitte.

Nach einem kurzen Serpentinenteil folgt eine lange, am Berghang entlang führende „Gerade“. Immer wieder wird die Straße nicht außen am Berg geführt, sondern durch kurze Tunnels, die teils in kurzen Abständen aufeinander folgen.

Die Landschaft ist fantastisch, was auch die Tatsache, dass es jetzt doch sehr kühl wird und mir teils kühler Wind entgegen bläst, nicht trüben kann. Das Knie macht keinen Mucks, mein Puls ist immer noch verhältnismäßig niedrig, aber ich fühle mich sehr gut. Trotzdem setze ich mir Teilziele in Kilometern, und zähle immer „die Hälfte“, „zwei Drittel“, „drei Viertel“ geschafft, denn 28 Kilometer Anstieg sind schon nicht ohne (trotz der flachen Passagen).

Ab dem Hotel Steingletscher folgt wieder eine Kehrengruppe und anschließend erneut eine lange „Gerade“ mit einigen Tunnels. Man hat jetzt nicht nur den spektakulären Blick zurück ins Tal, sondern auch den herrlichen Blick auf den Gletscher am Sustenhorn. Wasserfälle schießen vom Berg, einfach atemberaubend.

Dann folgt erneut eine Kehrengruppe, so langsam müsste ich dreiviertel geschafft haben.

Aber nach der letzten Kehre folgt nur noch eine Gerade und eine Kurve, und da ist schon der Tunnel auf der Passhöhe! Ich habe mich irgendwie verrechnet. Außerdem komme ich nicht auf 28 sondern nur auf knapp 27 Kilometer länge. Egal, ich bin schon oben. Wie gut. Natürlich gibt es ein Passschildfoto, und dann fahre ich gleich weiter durch den Tunnel um auf der anderen Seite wieder runterzufahren. Ich liege gut in der Zeit, der Anstieg hat 2:07 Stunden gedauert. Nicht superschnell aber auch ok.

Der Anstieg von Wasssen aus ist nur 18 Kilometer lang, sollte also auch nicht länger dauern, und dann kann ich in Wassen noch schön zu Mittag essen und komme noch rechtzeitig auf die Autobahn, in den Stau nach Hause.

Auf der anderen Seite des Tunnels halte ich erst nochmal an um ein paar Fotos vom Sustenhorn und vor allem vom Blick hinunter ins Tal zu machen. Dabei kann ich schon sehen, dass nach ein paar Kehren die Straße fast kurvenlos am Hang hinunter ins Tal verläuft. Das verspricht viel Anstrengung für den Wiederaufstieg.

Die Abfahrt geht dann recht flott, was natürlich umgekehrt heißt, dass der Wiederaufstieg steil ist. Nicht nur heute werde ich daran zu knabbern haben, sondern vor allem beim Alpenbrevet, wenn das der letzte große Anstieg ist, nach 5500 Höhenmetern, also bereits mit einem Ötztaler in den Beinen. Heute jedenfalls werde ich mich aber unten in Wassen ausruhen und was essen.

So fahre ich gen Tal, die Strecke ist oft nur mit einem dünnen Geländer zum Tal hin abgeschlossen, so dass man immer tolle Aussicht hat. Die Abfahrt ist erstaunlich lang, das kommt einem wohl wegen der fehlenden Kehren so vor. Denn tatsächlich ist nach 25 Minuten alles vorbei.

In Wassen merke ich, dass ich keinen Hunger habe, und so belasse ich es bei einem Energieriegel. Pause mache ich auch keine, sondern fülle nur die Wasserflaschen am Dorfbrunnen. Dann geht es gleich zurück in den Aufstieg.

Natürlich wäre eine Pause vielleicht sinnvoll gewesen, aber ich habe keine Lust, die Erholung funktioniert sehr gut, und außerdem kann ich so vielleicht ein bisschen das Gefühl simulieren, dass ich beim Alpenbrevet haben werde. Den gestrigen Tag hinzugerechnet kommt es auch mit den bereits geleisteten Höhenmetern ungefähr hin…

Die Straße wird gleich steil und zwar so knapp zehn Prozent. Und das bleibt dann auch so. Eigentlich ziemlich konstant. Ganz selten mal geht die Steigung runter auf so ca. 6 bis 7 Prozent, sonst aber bleibt es bei 9 bis 10 Prozent. Und dabei führt die Straße nach anfänglich ein paar Kurven bzw. Serpentinen gerade nach oben.

Nach der ersten Serpentine merke ich, dass ich vergessen habe die Helmmütze von der Abfahrt auszuziehen. Freihändig fahre ich die knapp zehnprozentige Steigung hoch und fummele das Ding vom Kopf, dabei komme ich etwas ins schwanken und verliere meine Sonnenbrille, die ich natürlich dabei abnehmen musste. Mist. Ich überlege kurz ob ich das Ding liegen lasse, kehre dann aber doch die zwanzig Meter zurück, denn die Abfahrt ohne Brille ist kein Spaß.

Das Knie hält immer noch still. Im Gegenteil, orthopädisch scheint alles ok. Allerdings ist es wirklich anstregend. Auf der Abfahrt hatte ich ein paar Tourenradler gesehen, die sahen total zerstört und zermürbt aus. Das harte an dieser Seite des Susten ist die Tatsache, dass die Steigung so konstant bleibt, und dass es, außer ganz am Anfang und wieder ganz zum Schluss, keine Kehren gibt, in denen man sich für ein paar Sekunden erholen kann.

So pedaliere ich so vor mich hin, und immer wenn es zu schwer zu werden scheint schalte ich zwei Gänge hoch, gehe in den Wiegetritt und bringe mich, wieder im Sattel, wieder auf eine vernünftige Trittfrequenz.

Irgendwann nach schon scheinbar endlosem Gekurbel sehe ich drei Rennradler vor mir. Die sind deutlich langsamer, wobei der vordere noch etwas schneller zu sein scheint wie die anderen beiden. Ich fahre recht zügig vorbei und gebe den hinteren beiden noch einen lockeren Spruch zur Aufmunterung mit.

Auch den vorderen Radfahrer überhole ich und kann dabei sein Edelrennrad bewundern. Handgefertigter Titanrahmen von Norwid, Chris King Steuersatz und mehr. Edles Teil sieht auch wirklich gut aus. (eigentlich macht Norwid doch nur Stahlrahmen? Nee, das war natürlich klar lackierter Edelstahl)

Egal, während ich darüber nachdenke, ob es denn nun Edelstahl oder was auch immer war merke ich gar nicht, dass sich Mr. Norwid an mein Hinterrad klemmt. Erst nach ca. einem Kilometer. Mittlerweile haben wir auch noch ordentlich Gegenwind, so dass das schon Sinn macht. Trotz des nicht zu hohen Tempos am Berg. Ich kurbele einfach meinen Rhythmus weiter, fahre aber zum Testen mal zwei kleine Attacken. Er bleibt aber dran.

Durch den anderen am Hinterrad habe ich wieder ordentlich Motivation und gebe keinen Meter nach. Immer wenn’s schwierig wird hochschalten und in den Wiegetritt, diesmal ein bisschen länger wie sonst, denn ich will meinen Hintermann ja schon auf Trab halten.

Die Straße führt ja immer gerade am Berg entlang, so dass ich den anderen nie zu Gesicht bekomme, denn es gibt keine Kehren wo man zurückblicken kann. Als die Straße dann an einem kleinen Gasthaus und Bikertreff einen Knick macht kommt die dritte Attacke. Hier sitzen auch die zerstörten Tourenradler von vorhin, aber mir geht es noch gut, und so ziehe ich das Tempo ein bisschen an, und dann bleibt Mr. Norwid zurück. Tretlagersteifigkeit und Plastik hat sich gegen elegante Optik und klassische Rahmenbaukunst durchgesetzt. Eine wunderbare Ablenkung auf dieser elend langen, geraden und konstanten Steigung.

Immer noch führt die Straße gerade am Berg entlang. Mittlerweile allerdings schon in beträchtlicher Höhe, so dass der Blick zurück ins Tal ein herrliches Alpenpanorama bietet. Und dann kommt endlich die letzte Kehrengruppe. Zwar ist die Passhöhe noch nicht erreicht, aber immerhin deutet sich das Ende des Aufstiegs an.

Und die Beine werden immer besser, selbst mein Puls hat sich etwas normalisiert, und ich weiß jetzt gleich, das ich tatsächlich heute nochmal beide Seiten des Susten schaffe und mich dabei auch noch gut fühle. Außerdem freue ich mich auf das Essen im Passrestaurant auf der anderen Seite des Tunnels.

Und dann ist nach der letzen Kehre und einer weiteren Kurve auch der Passhöhentunnel zu sehen. Die Fahrt durch den Tunnel fühlt sich wie der Zieleinlauf in Oslo an!

Nach dem obligatorischen Passschildfoto geht es erst mal ins Restaurant. Eine Portion Spaghetti für 17,50 Franken ist ja fast ein Schnäppchen (Wasser 0,5l 5,50 Franken). Obwohl die Sonne scheint und ich bei der Passauffahrt von Wassen ordentlich ins Schwitzen gekommen bin ist es wegen des kalten Windes hier doch recht kühl. So bleibe ich nicht sehr lange sitzen. Einen Becher warmes Ovomaltine gönne ich mir noch zum Nachtisch, und dann mache ich mich fertig für die Abfahrt. Denn es ziehen auch dunkle Wolken aus dem Tal nach oben und zwar rasend schnell.

Auf der Abfahrt mache ich keine Fotos, sondern genieße einfach nur. Auch wenn sich, gerade durch die dunkel aufziehenden Wolken, spektakuläre Szenarien bieten. Mehr wie gut 70 km/h werden es nicht, in den flachen Passagen fahre ich recht moderat, denn die mehr als 6800 Höhenmeter in diesen zwei Tagen waren wirklich genug, und ich bin froh, dass meine Knie und der ganze Rest so gut durchgehalten haben.

Für die gut 32 Kilometern bis zum Auto in Meiringen brauche ich fast noch eine Stunde, dann ist es aber geschafft. Und wieder hatte ich mit dem Wetter enormes Glück. Denn als ich endlich im Auto sitze und aus dem Ort rausfahre bricht ein heftiges Gewitter mit Hagelsturm über das Tal herein…

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