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Ultracycling und Alpenpaesse

Timmelsjoch Nordrampe von Sölden

Samstag 19.09.2009 ca. 15:00 Uhr

Die ersten Kilometer von Sölden aus Richtung Timmelsjoch sind recht locker zu fahren, die Steigungen noch moderat. Einzig der Wind bläst manchmal recht heftig entgegen, obwohl er bei der Abfahrt doch von der Seite kam…



Es gibt sogar noch einige fast flache Stücke, bis es dann an der Abzweigung in Richtung Timmelsjoch so richtig losgeht.



Die Steigungen liegen wohl so um die 8 bis 10 Prozent, allerdings fängt mein Radcomputer plötzlich an zu spinnen, und die Anzeige schwankt sekündlich zwischen 17 und 20 Prozent. Auch mehrmaliges aus- und wiedereinschalten bringt nichts, so überlege ich kurz ob ich auch dieses Mistding in den Wald werfe (zu der Brille und dem Helm), kann mich dann aber beherrschen.



Die Steigung liegt dann irgendwann ziemlich konstant um 10 oder 11 Prozent, mit leichten Abweichungen nach oben. Dafür, dass ich schon über 3000 Höhenmeter in den Beinen habe, geht es , aber bis zur Mautstation muss ich schon ordentlich kämpfen.


Dann gibt es erst mal etwas Erholung, denn jetzt kommt sogar eine Abfahrt auf der man so 150 Höhenmeter abgibt, bevor es in den letzten Teil geht.

Dieser Schlussanstieg liegt bei ziemlich konstanten 11% und zunächst geht es ohne Serpentinen recht gerade am Berg entlang.



Jetzt noch eine kilometerlange Elfprozentsteigung zu fahren ist eigentlich schon mehr als ich brauche, aber womit ich gar nicht gerechnet habe ist der heftige Gegenwind, der mir jetzt plötzlich hier entgegenschlägt.

Ich kann es eigentlich gar nicht fassen. Diese Seite des Timmelsjochs sollte eigentlich die einfachere Variante sein, aber ab jetzt gibt es keine Verschnaufpause mehr und der Wind ist ein rücksichtsloses Miststück.

Wenn man mit der körperlichen Anstrengung an seine Grenzen geht, dann sinkt die Toleranz gegenüber allem Äußeren beträchtlich. Und irgendwann platzt mir der Kragen und ich kann nicht anders als es persönlich zu nehmen. Wutentbrannt brülle ich dem Wind entgegen was ich von ihm halte. Ähnliche Erfahrungen habe ich schon auf meinen Radreisen gemacht, vor allem mit dem Wind in Irland hatte ich das eine oder andere verbale Scharmützel. Das ist immer auch ein Anzeichen, dass die Belastungsgrenze nahe ist.

Ich versuche auf jeden Fall bis zum Beginn der Schlussserpentinen durchzuhalten, die sich in der Ferne abzeichnen. Die Gedanken drehen sich dabei hauptsächlich um die Ungerechtigkeit, dass ich hier jetzt nicht nur gegen 11% Steigung, sondern auch noch gegen heftigen Gegenwind ankämpfen muss. Von wegen gemütlicher Saisonabschluss. Habe ich eigentlich schon gesagt, dass ich den Wind wirklich hasse? Vor allem diesen seltsamen Alpenwind, der völlig konstant bläst.


Egal trotzdem erreiche ich die Serpentinen. Meine Hoffnung ist, dass jetzt der Wind nicht mehr von vorne kommt, und wenn dann nur noch nach jeder zweiten Kehre. Im Prinzip funktioniert das auch. Aber ich merke, dass jetzt die Grenze erreicht ist, ich kämpfe mit den letzten Reserven. Ich versuche noch ein Gel zu nehmen, muss aber feststellen, dass die Tube schon leer ist. Zu früh gefreut, einen Riegel habe ich noch, aber den kann ich nicht essen, ist mir zu anstrengend.

Durch das mehrmalige an- und ausschalten des Fahrradcomputers kann ich die zurückgelegte Distanz von Sölden aus nicht ablesen, so dass ich nicht weiß wie weit es noch ist. Die Sonne ist jetzt nicht mehr zu sehen, da eine Wolke das Timmelsjoch einhüllt, und so fahre ich, und hoffe immer dass vielleicht die nächste oder wenigstens die übernächste Linksserpentine die letzte ist. Und irgendwann erscheint links ein großer Parkplatz, aber ich weiß nicht mehr ob das schon der Pass ist, oder ob da unterhalb noch was war, denn die Passhöhe liegt in die Wolke eingehüllt. Aber es ist tatsächlich der Parkplatz des Gasthauses auf der Passhöhe. Fast geschafft.

Ich kämpfe mich noch die letzten Meter bis zum höchsten Punkt und dem Passschild, das etwas Richtung italienischer Seite steht, und drehe dann um, um vor dem kleinen Denkmal mit dem Adler das Foto für die Söldenseite zu machen. Allerdings bin ich wirklich fertig. Ich schaffe es nicht mehr vom Fahrrad abzusteigen, die Erschöpfung lässt diese koordinativ anspruchsvolle Aufgabe einfach nicht mehr zu, so dass ich mich einfach fallen lasse, obwohl da keine Wiese ist sondern Steine. Das ist mir aber völlig egal.

Das Fahrrad liegt am Straßenrand, und durch die Wolke ist nur wenig Sicht, aber die wenigen Autos fahren dran vorbei, und wenn eins drüber gefahren wäre, wäre mir das in diesem Moment völlig egal gewesen. Eine Minute ungefähr sitze ich so am Straßenrand, dann ist die Erholung so weit fortgeschritten, dass ich wieder richtig denken kann. Ich schaffe es sogar das Passfoto per Selbstauslöser zu machen, denn hier oben ist schlicht niemand.


Dann gehe ich ins Passhöhengasthaus, noch immer ziemlich fertig. Gut 4500 Höhenmeter hinter mir, inklusive Söldner Gletscherstraße! Ich schleppe mich mehr oder weniger auf meinen Sitzplatz, und verliere dabei das ganze Geld, dass ich mühsam aus der Oberrohrtasche rausgekramt hatte.

Egal, ich bestelle erst mal Tee und Apfelschorle, und schließlich auch was zu essen. Jetzt muss ich mich nur etwas erholen, dann gibt es noch eine lange Abfahrt, und das war’s dann. Höhenmeter brauche ich heute keinen einzigen mehr.

Ich treffe noch zwei Radler aus Bochum, die ihr Auto hier oben haben und mir anbieten mich mit runterzunehmen nach St Leonhard, da scheinbar dichter Nebel das Timmelsjoch einhüllt.


Ich verzichte dankend, denn natürlich will ich die Strecke zu Ende fahren, außerdem habe ich Beleuchtung am Rad, und nicht zuletzt gehe ich davon aus, dass das nur eine Wolke ist, und nach einigen Höhenmetern abwärts die Sicht wieder aufklart.


Genauso ist es auch. Die Abfahrt beginnt mit wenig Sicht und dann wird’s immer besser. Die Wolken, die das Timmelsjoch einhüllen regnen allerdings etwas ab. Zunächst ganz schwach, weiter unten regnet es dann aber etwas mehr.




Bedingt durch Wetter, Straßenbelag und nicht zuletzt die Straßenführung kann man nicht wirklich schnell fahren auf der Abfahrt. Trotzdem genieße ich den größten Teil. Gegen Ende sehne ich mich allerdings nach einer heißen Dusche, denn die Abfahrt zieht sich am Ende doch sehr, vor allem auch mit nassen, kalten Füßen.




Aber schließlich erscheint das Ortsschild von St Leonhard, und die Pension ist erreicht.


Über 4500 Höhenmeter machen sich dann doch bemerkbar. Mit essen gehen ist nichts mehr. Von wegen Saisonabschlussfeier, nur noch duschen, ins Bett legen und das wars…

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