steilberghoch

Ultracycling und Alpenpaesse

Trainingslager Teneriffa 2017 – Tag 4

Als ich im Dezember 2014 das erste mal mein Trainingslager auf Teneriffa aufgeschlagen hatte, war es mir aus zeitlichen und logistischen Gründen nicht möglich das Anaga Gebirge im Nordosten der Insel zu erkunden. Dabei soll das ja ein wirklich schöner Teil Teneriffas sein, der sich nochmals von den Gebieten im Norden, Nordwesten und vor allem natürlich im Süden unterscheidet.

Da für heute als Aufgabe „Höhenmeter sammeln, soviel wie möglich“ auf dem Trainingsplan steht, und das über fünfeinhalb Stunden, will ich die Gelegenheit nutzen, dass Katrin dabei ist. So fahren wir gemeinsam mit dem Auto bis La Laguna. Dort setze ich mich auf‘s Rad, während sie nach einer kurzen Erkundung der Altstadt zum Wandern ebenfalls in Richtung Anaga aufbricht.

Natürlich kostet es etwas Zeit bis man endlich auf dem Rad sitzt. Mal schauen ob ich den groben Plan, eine Anaga Runde zu drehen und dann über die TF-24 auf den Teide und zurück ins Hotel zu fahren noch vor Einbruch der Dunkelheit umsetzen kann.

Aus La Laguna heraus auf der TF-13 herrscht noch ganz schön viel Verkehr, erst als ich auf die TF-12 abbiege lässt das etwas nach. Doch schon hier zeigt sich eine völlig andere Landschaft als auf dem Rest der Insel, mit üppiger Vegetation. Die Sonne wird schnell von weichen, nebligen Wolken verdeckt und das Grün leuchtet in so vielen Facetten, dass der Ire nur neidisch schauen kann.

Akzentuiert wird das Anfangs durch die bunt angestrichenen Häuser, fast jedes Haus hat eine andere Farbe, und auch vor Lila und Rot schrecken die Bewohner nicht zurück.

Doch schnell führt die Straße nicht nur berghoch, sondern auch in den urigen Wald. Links und rechts säumen unterschiedlichste Gewächse die Straße, sensationell schön. Die hier fast immer hängenden Wolken tragen nicht nur durch ihre Feuchtigkeit zur Üppigkeit der Vegetation bei, sondern verleihen der Szenerie auch eine mystische Note.

Einfach sehr geil hier zu fahren. Bald sinkt die Temperatur in Richtung 10°. Da es aber ordentlich bergauf geht ist mir das nur recht. Auch in kurz/kurz fühlt sich das gut an. Nach dem missglückten CP-Test gestern fühle ich mich wohl auf dem Rad. Dabei beobachte ich meine neue Sitzposition genau und muss sagen, das fühlt sich richtig gut an.

Die ersten Kilometer fließen dahin. Jede Kurve bietet neue spektakuläre Stimmungen. Zwischendurch reißt die Wolkendecke mal etwas, gerade als ich über einen Bergkamm fahre. Es bietet sich eine fantastische Aussicht in ein zerklüftetes Tal, alles mit üppigem Grün bedeckt.

Um auch lange Einheiten mit vielen Höhenmeter am Stück abreißen zu können habe ich mir am Sattel zusätzliche Flaschenhalter befestigt. Muss aber feststellen, dass das großer Mist ist. Am ersten Tag hatte ich schon eine Flasche verloren, ohne dass ich es während der Fahrt bemerkt hatte. Bevor ich diese überhaupt ersetzen konnte verliere ich nun auch die zweite. Bzw. springt sie aus dem Halter als ich eine schlecht zu sehende, heftige Senke durchfahre, dabei zersplittert der Deckel in tausend Teile. Na super, dass kann ja was werden, mit zwei Flaschen über fünfeinhalb Stunden Höhenmeter sammeln. Da muss ich sicher irgendwo nachladen.

Na egal, nach einem weiteren Bergkamm mit ebenso spektakulärer Aussicht geht es erst mal bergab mit nur wenigen Gegenanstiegen. Die Straße ist teils feucht, und die Kurven folgen eng aufeinander, so dass ich praktisch nicht mittreten kann. Als Trainingszeit sollte ich das nicht werten…

Dann geht es wieder bergauf. Teils ist es jetzt recht windig. Und als es wieder bergab geht muss ich durchaus aufpassen, denn der manchmal überraschend einsetzende Wind bläst einen fast mit seinen giftigen Böen von der Straße.

Es folgt aber nun eine tolle Abfahrt. Die Wolken klaren mehr und mehr auf, und die TF-12 windet sich in spektakulären Serpentinen und Kurven nach unten. Dabei nimmt die Temperatur immer mehr zu, von knapp über 8° bis in den hohen zweistelligen Bereich.

Zweimal muss ich alles geben um einen Sturz durch brutale Windböen zu vermeiden, dabei überhole ich den ersten Rennradfahrer den ich für heute sehe, und dann zieht die Straße in einem schönen Rhythmus hinunter bis San Andres.

Das ist ein traumhaftes Städtchen. Bäume spenden schatten, die Sonne scheint, es sind so 21° C, leichter Wind kühlt, kurzum alles schreit nach Cappuccino mit Blick auf‘s Meer.

Aber es ist natürlich viel zu früh dafür. Und ich bin ja nun mal zum Training hier, also drehe ich unten gleich wieder um und fahre die TF-12 wieder hinauf. Auf dem Rückweg will ich noch die TF-123 mitnehmen, eine Stichstraße die zum nördlichsten Punkt (zumindest für Rennradfahrer) führt.

Der Anstieg nun ist gar nicht so ohne. Zwar ist die Straße kaum über 6% steil, aber an einigen Stellen bläst der Wind so heftig entgegen, dass es sich anfühlt wie 12%. Außerdem ist mir zu warm, ich mag ja doch eher die Kälte und freue mich schon wieder auf die 8° oben in den Wolken. Dabei mache ich mir nur Gedanken wie ich beim RAAM vernünftig durch die Wüste kommen soll…

So geht es ganz gut nach oben. Wie zuvor fahre ich meist im G2 Bereich. Dabei fühle ich mich wirklich wohl auf dem neuen Sattel, und gefühlt trete ich in der aktuellen Position deutlich symmetrischer.

Den Abzweig zur TF-123 finde ich nicht, der einzige ist der auf die TF-134 nach Taganana und Benijo, was mir ebenfalls ein lohnenswertes Ziel zu sein scheint. So biege ich hier ab und muss mich erst mal etwas steil bergauf quälen. Hinter mir fährt eine kleine Schlange von drei Autos als ich um einen Felsvorsprung fahre und mir der Wind so heftig entgegen bläst, dass ich praktisch erst mal stehe. Krass, aber nach drei Kurbelumdrehungen mit aller Gewalt geht‘s wieder und bald geht es etwas bergab.

Die Straße führt nun durch einen gut 350 Meter langen Tunnel. Schnell wird es stockdunkel und ich versuche mein Rücklicht einzuschalten. Das hängt aber an den zusätzlichen Flaschenhaltern, so dass ich fast nicht dran komme, ich muss mich so verdrehen, dass es einen heftigen Stich im Nacken gibt und ich fast gegen die Tunnelwand fahre… Verdammt, was war das denn?

Immerhin das Licht blinkt, die Autofahrer können mich sehen, ich fahre aber im Blindflug und hoffe einfach, dass der Belag gut ist und keine Schlaglöcher im Dunkeln vor mir liegen.

Aus dem Tunnel heraus öffnet sich dann ein fantastischer Blick. Die Straße führt steil bergab, auf dem Rückweg werde ich sicher ordentlich steile Höhenmeter sammeln können. Das sind definitiv mehr als 12% Gefälle.

Die Straße führt nun auf einem Bergkamm entlang und dreht dann in einer Serpentine um einen Felsen. Wirklich spektakulär. Taganana liegt sternenförmig dort unten im Tal, die Wolken tragen zur mystischen Stimmung bei, die Straßenführung ist so wie man sich das als Rennradfahrer der Berge liebt wünscht.

Kurz vor dem Ort überhole ich noch zwei Autos, bevor die Straße in einer engen Serpentine dreht und nach zwei Kurven an der Küste entlang bis auf Meereshöhe führt.

Hier stehen Busse auf der Straße und ich schlängele mich an der kleinen Autoschlange vorbei um ein paar hundert Meter direkt am Meer entlang zu fahren, als mich Katrin mit dem Auto überholt. Cool, so treffen wir und zufällig hier an diesem spektakulären Ort.

Ich fahre weiter bis Benijo, quasi dem Ende der Stichstraße und wir treffen uns auf einen Cafe bei sensationellem Blick auf die Felsenküste und die tosende Brandung.

Eigentlich sind erst zweieinhalb Stunden rum, aber so kann ich die Flaschen auffüllen, eine Toilette gibt‘s auch und ich kann mich mit Käsekuchen und Cafe con leche für die lange Fahrt über die TF-12 und die TF-24 durch‘s Anagagebirge und über den Teide rüsten. Ich denke das geht trainingstechnisch ok.

Nach zwei Cafe und einem Foto trennen wir uns wieder und ich nehme mit dem Rad die Rückfahrt über die wirklich steile TF-134 in Angriff. Zunächst wieder am Meer entlang bis Taganana und dann richtig steil berghoch.

Anfangs überholt mich ein Bus, doch schon in der ersten Serpentine muss der zurücksetzen um überhaupt rumzukommen. Ich ärgere mich schon, dass ich nun hinter dem rußenden Monster hänge, aber schnell zieht die Steigung so an, dass er einfach davonfährt.

Schon aus dem Dorf heraus wird es zweistellig, und schon bald steigt die Straße mit 13%, was auch recht lange so bleibt. So winde ich mich nach oben, die Beine gehen aber gut. Ich habe nochmal etwas Wasser getrunken und habe eine Flasche mit etwas verdünntem Sponser Competition und eine Flasche Wasser. Ob das reicht? Muss irgendwie.

Trotz der kühlen Temperaturen unter 10° C komme ich ganz schön ins Schwitzen. Vor allem als nach der Serpentine um den Felsen herum die Steigung weiter anzieht. Bis auf 15% und zwischendurch zeigt der Garmin ganz schön lange 16% an.

Die Aussicht ist natürlich entsprechend eindrucksvoll. Ich versuche es fotografisch festzuhalten, aber die ganze Dramatik der Szenerie ist schwer durch einen wackligen Schnappschuss festzuhalten…

Dann habe ich endlich den Tunnel erreicht. Ich tauche ein ins Dunkel und da die Brille angelaufen ist, sehe ich nichts außer einem weißen, gleißenden Lichtpunkt in der Ferne. Auf den halte ich zu. Da ich überhaupt keine Straße oder Wand sehe, sondern nur Schwarz und diesen weißen Punkt, ist das eher eine Nahtoderfahrung als Radfahren. Irgendwie geil, aber als ich das erste Auto hinter mir höre nehme ich doch die Brille ab und kann so wenigstens grob abschätzen wo meine Fahrspur ist und mich etwas rechts orientieren.

Aus dem Tunnel heraus geht es noch ein paar Meter bergauf während denen sich meine Augen wieder an das Tageslicht gewöhnen können, dann geht es bergab bis ich wieder auf die TF-12 treffe und nun eine längere Bergauffahrt vor mir habe.

Ich liebe diesen Streckenabschnitt wirklich, es ist sehr kühl, die Vegetation üppig, die Steigung fordernd aber gut dosierbar, die Beine funktionieren, noch immer sitze ich gut auf dem Rad. So genieße ich jeden Kilometer der TF-12. Die Strecke ist einfach fantastisch und sollte bei keinem Radurlaub oder Trainingslager auf Teneriffa fehlen. Vielleicht ist das sogar eine der schönsten Landschaften auf den gesamten Kanaren überhaupt.

Anyway, nachdem ich mich an meiner Fahrt bergauf und der folgenden schönen Abfahrt durch diesen schönen Lorbeerwald berauscht habe, rolle ich wieder in Richtung La Laguna. An einem Kreisel quetsche ich mich vorbei an einer langen Autoschlange auf die TF-13 und fahre auf langer Gerade mit schlechtem Straßenbelag in die Stadt hinein.

Ich hatte mir etwas Sorge gemacht, dass ich die TF-24 nicht so schnell finde, aber es ist extrem einfach, so dass ich nach fünf Minuten durch den Ort und Überquerung derAutobahn auf den Beginn der Straße gelange und die Auffahrt zum Teide beginnen kann. Ein Schild erzählt was von 54 Kilometern.

Puh, meine Getränke werden wohl kaum reichen. Aber vor allen Dingen wird es sehr knapp vor Einbruch der Dunkelheit über die Hochebene zu kommen, geschweige denn bis zum Hotel. Na mal schauen. Erstmal geht es kerzengerade berghoch. Ich trete solides G2.

Tausend Höhenmeter hatte ich in der ersten Tour, ca. 600 Hm waren es aus Taganana heraus auf ziemlich genau sechs Kilometer. Die restlichen Höhenmeter durch das Anaga Gebirge vergesse ich irgendwie und rechne ca. 1000 Höhenmeter bis zum Teide, denn ich starte ja nicht von Meereshöhe. Damit liege insgesamt mit meiner Schätzung aber ziemlich daneben, was ich in dem Moment aber nicht bemerke.

Die Strecke über die TF-24 kenne ich noch einigermaßen von 2014. Damals hatte ich hier eine böse Abfahrt mit Hagel, Temperaturen nicht weit vom Gefrierpunkt und tauben Fingern. Nun geht es aber mit der Temperatur. Auch wenn es hier nicht so warm ist wie an der Südküste, so dauert es doch einen Moment bis sich die Temperatur wieder in Richtung 10° und darunter bewegt.

Die Kilometer fließen bei sehr lebhaftem Verkehr dahin, ich nehme das erste von zwei Gels die ich dabei habe. Die Wasserflasche ist noch halb voll, das ISO-Getränk sogar noch etwas mehr. Jetzt darf es nur nicht warm werden. An einer Tankstelle überlege ich kurz nochmal nachzuladen, aber ich bin jetzt schon 4 Kilometer im Anstieg und mag nicht anhalten.

Die Straße führt nun durch La Esperanza, der Ort ist locker drei Kilometer lang, dort flacht sie etwas ab. Hinter dem Ort zieht die Steigung aber wieder an. Noch immer fahre ich meist solides G2. Die Strecke führt nun durch Wald, und nach einigen Kilometern brechen die Wolken etwas auf, aber im Wald gibt es genug Schatten und die Temperatur bleibt niedrig. Im Gegenteil, durch die zunehmende Höhe wird es kälter. Mir nur recht. Auch wenn die Hände die Kombination von konstanter Belastung im Anstieg (und durch die Abfahrt nach La Laguna) zusammen mit der Kälte etwas zu kribbeln anfangen.

Die Kilometer fließen dahin, aber deutlich zäher als noch vorhin und ich muss einsehen, dass ich bei dem Tempo nicht im Hellen zum Hotel komme und dass mir auch die Getränke ausgehen werden.

So schraube ich mich fast zwanzig Kilometer nach oben, meist recht gerade mit wenigen Kurven, je nach Wolkendecke mal durch feuchtes Gebiet, mal über trockenen Asphalt mit Sonnenstrahlen die durch die Bäume dringen. Ich bin jetzt etwas über 1500 Meter hoch und hätte die Chance nach Güimar abzubiegen um auf welligem Gelände über die TF-28 zum Hotel zu fahren. Dann ginge es auf mit dem Sonnenuntergang und wahrscheinlich könnte ich auch da noch ein paar Höhenmeter sammeln.

Aber irgendwie habe ich ein schlechtes Gewissen wegen der Pause und außerdem würde ich gerne die Auffahrt zum Teide durchziehen. Es ist klar, dass das Restaurant am Teide zu hat bis ich dort ankomme. Ich muss aber auf jeden Fall irgendwo nachladen. D.h. ich muss bis zum Restaurant Papillon kommen, dass ist praktisch am Anfang der Hochebene, d.h. den höchsten Punkt bei den Teleskopen hätte ich dann schon überwunden, das würde also auch vom Gefühl her passen. Dann könnte ich frisch versorgt über die Hochebene und den Gegenanstieg noch bis Vilaflor kommen bevor es ganz dunkel wird. Dann muss ich Katrin anrufen, dass sie mich dort abholt.

Ich nehme das zweite Gel und bleibe also auf der TF-24. Das Wasser ist leer und ich habe noch drei große Schlucke ISO-Getränk. Bis zum Teide sind es noch 30 Kilometer. Die Leistung ist immer noch gut, auch wenn ich jetzt eher niedriges G2 fahre.

Die Kilometer fließen zäher. Noch immer geht es konstant bergauf. Nach ca. drei weiteren Kilometern flacht es etwas ab, mittlerweile sind die Flaschen leer, ich fahre im Auflieger und versuche auch hier etwas Druck zu machen um mein Ziel vor der Dunkelheit zu erreichen.

Mittlerweile bin ich über der Wolkendecke und der Wald lichtet sich etwas. Das bringt tolle Ausblicke auf den Teide und den Norden der unter den Wolken liegt. Die Sonne knallt etwas, wobei sich die Temperatur nur langsam in Richtung zweistellige Werte bewegt. Es fühlt sich aber heiß an.

Ich habe schon eine Weile nichts mehr zu trinken, die Straße wird schlecht und ich merke wie ich in einen Hungerast fahre. Verdammt, es sind noch über zwanzig Kilometer bis zum Teide. Ich versuche abzuschätzen wie weit das Restaurant weg ist. Soweit kann das doch eigentlich nicht mehr sein.

Aber erst mal windet sich die Straße nun in Richtung Sternwarte. Jetzt haut der Hungerast voll durch, ich habe ein großes Bedürfnis nach Followcar und Hipp Trinknahrung mit Hühnchengeschmack. Die Leistung sinkt, ich versuch noch normales G1 zu fahren, sehe aber manchmal die 1 vorne aufblinken auf der Leistungsanzeige..

Die Landschaft ist eigentlich fantastisch, es gibt sogar flachere Abschnitte wo ich Druck machen könnte, auch eine Zwischenabfahrt, aber ich kann es nicht genießen, sondern muss kämpfen. Ich sauge die letzten Tropfen aus den Flaschen, aber die sind leer, dass hatte ich vor zehn Minuten nämlich auch schon gemacht…

An einem Aussichtspunkt steht ein Auto, ich überlege ob ich anhalte und nach etwas zu essen frage, aber plötzlich kommt die Leistung wieder. Hatte ich auch noch nicht, nach dem Hungerast nochmal Power für G2?!

Mit 280 Watt fahre ich nun wieder berghoch und habe die Hoffnung, dass ich mich doch bis zum Papillon schleppen kann und dort auffülle. Vor allem fällt mir ein, dass es nochmal eine längere Abfahrt gibt bis dorthin.

Aber nach zwei Serpentinen bricht die Leistung wieder weg. Diesmal richtig. Ich fahre keine 150 Watt mehr. Die Straße ist schlecht und hier ist niemand dem ich ein Snickers abschwätzen könnte. Ich würde ohne zu Zucken zehn Euro oder mehr dafür zahlen.

Der KH-Mangel schlägt jetzt voll durch. Nix geht mehr, ich schleiche vorwärts, meine Zeitberechnungen kann ich komplett vergessen. Hier oben ist aber nichts, keine Chance was zu kaufen, keine Touristen die irgendwo stehen, es ist ja schon recht spät, die Sonne steht tief. Eigentlich fantastisch, aber ich kann nichts genießen. Die Lippen werden taub, ein allgemeines Kribbeln, ich muss aufpassen dass ich nicht auf dem Rad zusammenklappe. So leer gefahren habe ich mich noch nie. Selbst der Hungerast am Lukmanier beim ersten Alpenbrevet war nicht so hart. Vor allem gab es da die Chance wenigstens Wasser und dann was zu essen zu kaufen und so bis zur Verpflegungsstation zu kommen.

Hier gibt es keine Verpflegungsstation und kaufen kann man auch nichts. Mittlerweile ist mir kalt. Ich bin jetzt so ca. 35 Kilometer am Stück bergauf gefahren und habe noch einige Kilometer vor mir. Es hört nicht auf und ich bin komplett leer. Die Teleskope kommen näher, aber wieder dreht die Straße in einer Serpentine. Ich muss eigentlich absteigen, fahre aber weiter. Es nutzt ja nichts stehenzubleiben, ich kann ja auch dann nichts essen oder trinken, weil ich nichts habe.

So krieche ich vorwärts, die Strecke zieht sich ohne Ende. Die Straßenführung wechselt nochmal auf die Südseite und nach einer recht langen Zwischenabfahrt geht es wieder unendlich berghoch. Ich krieche nur noch, zwischenzeitlich fahre ich dann aber auch mal wieder 230 Watt, meist jedoch deutlich unter 200.

Obwohl die Strecke nicht aufzuhören scheint, überwinde ich dann tatsächlich den höchsten Punkt den man hier auf der Insel mit dem Rennrad erreichen kann, über 2300 Meter Meereshöhe, vorbei am Abzweig zur Sternwarte.

Dann geht es zwar erst mal bergab, aber ich kann nicht mehr. Ich schleppe mich auch die Abfahrt mehr schlecht als recht herunter. Wieder geht es etwas bergauf und bei Kilometer 38 der TF-28 geht es zwar wieder abwärts aber jetzt ist ganz aus. Ich muss vom Rad, sonst würde ich die Abfahrt nicht überstehen. Es sind wahrscheinlich nur noch zehn, fünfzehn Minuten bis zum Restaurant, aber keine Chance ich kann mich nicht mehr auf dem Rad halten.

Ich steige ab, zwei Spanier stehen gegenüber in einer Einbuchtung, ich frage ob sie was zu essen oder trinken haben. Aber sie haben nur ein Päckchen Bonbons, dass sie mir schenken. Dann finden sich noch einen Schluck Wasser. Gierig haue ich das Wasser weg und werfe mir drei Bonbons ein, die ich gleich zerkaue. Die schmecken eklig aber ich hoffe der Zucker geht gleich ins Blut. Es bleibt aber jede belebende Wirkung aus. Ich kaue noch zwei Bonbons, jetzt schmecken sie auch nicht besser.

Es hilft aber nichts. Der Colaeffekt kommt nicht, ich fühle mich keinen Deut besser. Die Straße führt zwar erst mal lange bergab, ich kann aber nicht auf‘s Rad. Wie soll ich so bergab fahren? Ich warte ein paar Minuten, es wird nicht besser. Also doch auf‘s Rad, ich muss irgendwie bis zum Restaurant kommen. Ich rufe Katrin an und bitte sie mich dort abzuholen. Ich kann nicht hier in der Kälte warten, ich friere und ich muss was essen und trinken. Bis Katrin auf dem Berg ist dauert es bestimmt anderthalb Stunden vom Hotel aus.

Ich rolle mit allerletzter Kraft den Berg runter, aber nochmals geht es ein Stück berghoch, länger als mir lieb ist, ich muss wieder vom Rad mich hinlegen. Ein Auto hält, ich frage nach was zu essen. Diesmal gibt es fast einen halben Liter Sprudelwasser und zwei unglaublich scheußliche kleine Gels. Das zweite wollte ich schon gar nicht mehr, aber die beiden netten Touristen drängen mich das auch noch zu essen, ich sehe glaube ich gerade nicht so gut aus.

Die beiden sagen, dass Restaurant sei nur noch zehn Minuten weg. Ich lege mich in den Staub und versuche mich zu erholen. Die Lippen sind ganz taub, die Hände auch und es fühlt sich an als hätte ich einen kribbelnden Kreis um den Kopf.

Nächster Versuch, irgendwie rolle ich bergab und treffe auf den Abzweig auf die TF-21, dort ist auch ein Restaurant, das hat aber selten auf. Zwei Autos stehen davor, ich frage einen der Fahrer, der gerade eine Zigarette raucht, ob offen ist, ist aber geschlossen. Ich versuche zu halten, schaffe es nicht mehr und kippe mitsamt Rad um.

Die ekligen Sachen die ich da gerade in mich reingestopft habe haben offensichtlich nichts gebracht. War vielleicht sogar ein Fehler. Ich bleibe einfach liegen. Die Leute fragen mich besorgt auf spanisch ob sie einen Doktor rufen sollen. Ich sage „nee, nee, alles ok“ auf deutsch…

Trotzdem trauen sie der Sache nicht, setzen sich ins Auto und warten während ich da liege. So bin ich auf dem Rad wirklich noch nicht umgegangen. Ich muss das verdammte Restaurant erreichen. Mir ist schlecht von dem ekligen Gel und den widerlichen Bonbons. Es ist saukalt, ich fange an zu zittern.

Mist was ist das denn für ein Trainingstag? Irgendwann sehe ich ein, dass ich weiterfahren MUSS. Also stehe ich auf, und setze mich auf‘s Rad. Anfangs wackelig bekomme ich genug Leistung zusammen um mit 130 Watt auf der nur mäßig ansteigenden Straße Richtung Teide zu fahren. Als die Steigung anzieht geht sogar noch etwas mehr.

Und dann sehe ich tatsächlich die vier, fünf Gebäude, endlich! Ich habe tatsächlich das Restaurant Papillon erreicht. (Es ist eigentlich kein empfehlenswertes Restaurant, aber das ist mir natürlich jetzt scheißegal, es ist warm und es gibt Nahrung!)

Ich bestelle zwei Blaubeermuffins und einen Cafe. Die Blaubeermuffins sind zu meiner Überraschung mit eklig süßer Zitronencreme gefüllt, wer macht denn sowas?

Obwohl mein Körper eigentlich nach jedem Kohlenhydrat schreien müsste, schmeckt es widerlich und ich kann die Dinger nicht aufessen. Auch der Cafe geht nicht. Nun setzt ein heftiges Zittern ein. Ich kann die Tasse nicht halten und kaum die SMS an Katrin absetzen.

Ich versuche es mit Kichererbsensuppe um etwas Warmes, nicht süßes, zu essen und bestelle einen Tee. Beides funktioniert. Aber das Zittern ist sehr heftig und die Lippen sind taub. Ich gebe wohl gerade ein recht erbärmliches Bild ab.

Nach ca. 40 Minuten trifft Katrin ein und holt mich ab. Zum Glück hat das Zittern jetzt nachgelassen. Noch auf der Fahrt zum Hotel ist mir schlecht bei dem Gedanken an die widerlichen Bonbons und die wirklich ekelhaften Gels. Gerne hätte ich gewusst was das war. Und vor allem warum ich alles Süße gerade widerlich finde. Müsste doch umgekehrt sein? Anyway, dass wird sich schon wieder beruhigen.

Zurück bleibt allerdings das unbefriedigende Gefühl die Einheit nicht zu Ende gefahren zu haben. Es hat wirklich nicht viel gefehlt, ein paar Kilometer, die meisten davon bergab und ich hätte es zum Restaurant geschafft. Verdammt. Insgesamt habe ich über 4200 Höhenmeter auf der Tour gesammelt, da hatte ich mich doch ziemlich verschätzt, den ersten Teil irgendwie total ausgeblendet. Im Prinzip habe ich aber die Vorgabe „Höhenmeter sammeln“ umgesetzt… Das ich sieben Stunden unterwegs war liegt zwar deutlich über der Trainingsvorgabe, aber durch die Pausen hätte es schon gepasst, morgen ist ja eh Ruhetag. Also war das Training irgendwie ok und doch unbefriedigend…

Interessanterweise fühle ich mich eigentlich gar nicht so sehr erschöpft. Nachdem das Zittern weg ist und der Kreislauf wieder normal funktioniert, ist alles wieder gut. Ich hatte einfach einen mega Hungerast. Hätte ich genug zu essen gehabt, hätte ich die geplante Runde wohl vor Sonnenuntergang durchgebracht. Morgen ist jetzt aber erst mal Ruhetag und ich kann mich erholen.

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4 Kommentare

  1. Nadine 4. März 2017

    Wünsche Dir bei den nächsten Trainingseinheit einen positiveren Verlauf! Lass Dich von solchen Tagen nicht ärgern! Wir waren im Oktober auf Teneriffa und es ist toll zu lesen welche Ecken sich tatsächlich auch mit dem Fahrrad erreichen lassen .
    Liebe Grüße auch an Katrin! Habt tolle Tage auf Teneriffa! Viel Erfolg für Dein Training. Liebe Grüße von der Ex-BT Nadine

    • Guido 4. März 2017

      Vielen Dank!Und liebe Grüße zurück 🙂 Ich hoffe noch einige Ecken Teneriffas zu erkunden, so übel wie am Tag 4 wird es hoffentlich nicht mehr laufen…

  2. Peter 4. März 2017

    …..was für eine Einheit…!! Was so ein Hungerast ausmacht! Wahnsinn…
    Ab sofort besser planen.. Viel Erfolg für die nächsten Tage!!

    Peter

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