steilberghoch

Ultracycling und Alpenpaesse

Trainingslager Teneriffa 2017 – Tag 9

Nachdem ich den Trainingsblock etwas umgestellt hatte steht heute also die nächste Königsetappe an, will heißen ordentlich Höhenmeter sammeln ist angesagt. Das Fahrrad ist mit Trinkflaschen satt präpariert.

Da ich nicht die gleiche Tour fahren will wie vorgestern, aber auch auf keinen Fall über die TF-38 abfahren will, wegen des ultraschlechten Belags, beschließe ich den ersten Teil im Nordwesten zu fahren. Allerdings muss ich da erst mal dort hinkommen, und das ist komplizierter als es den Anschein hat. Mit dem Fahrrad jedenfalls.

Im Prinzip brauche ich nur über die TF-82 nordwärts zu fahren. Nur fängt die erst hinter Adeje an, und bis dahin auf halbwegs brauchbarer Straße zu kommen ohne in irgendwelchen Sackgassen zu landen oder im Stau zwischen großen Hotelbunkern am Playa de Las Americas, das kann man getrost vergessen.

Also bleibt nur der Weg über die TF-1, die Autobahn. Vor drei Jahren habe ich das schon mal gemacht, da war die Insel nicht so voll und die TF-1 noch nicht zu Ende gebaut. Das ging gerade so. Mal schauen wie es diesmal wird. Letztlich sind es nur ca. 10 Kilometer, aber mein verlorenes Rücklicht konnte ich noch nicht ersetzen und es gibt einige Auf- und Abfahrten, was ja recht heikel sein kann.

Anyway, ich bin ja durch die Radreisen etwas abgehärtet, und mache mich erst mal auf den Weg nach Los Christianos um dort auf die TF-1 zu fahren. Der Verkehr ist sehr dicht, und die Autobahn ist voll, der Standstreifen ist kein Bringer, aber noch ganz brauchbar zu fahren.

Die erste Abfahrt folgt bald, die Autos peitschen schön mit 100 km/h an mir vorbei, doch da kommt schon wieder Standstreifen, jetzt noch die zugehörige Auffahrt kreuzen, fährt keiner auf, sehr gut und jetzt habe ich wieder Seitenstreifen für ein paar Kilometer.

So funktionieren auch die nächsten Ab- / Auffahrten. Die Autofahrer finden das natürlich scheiße und hupen mich manchmal an, kann ich verstehen, allerdings lassen mich die zwei Polizeimotorräder, die mich überholen in Ruhe. An manchen Stellen ist es auch nicht verboten mit dem Rad zu fahren, wenn es auch prinzipiell in Spanien auf Autobahnen erst mal nicht erlaubt ist (was ja auch Sinn macht). Hier auf diesem Abschnitt weiß ich es nicht. Aber da ich die TF-82 erreichen will, bleibt mir erst mal nix anderes übrig.

Mittlerweile geht es etwas berghoch, was mir die Fähigkeit zur Aktion an den Ab- / Auffahrten nimmt, da ich einfach zu wenig Tempo habe. Jetzt könnte langsam mal die ersehnte Abfahrt auf die 82 kommen.

Die Abfahrt nach Adeje ist heftig, obwohl der Verkehr abgenommen hat geißeln gerade Busse und LKW an mir vorbei als ich keinen Seitenstreifen mehr habe. Auf dem Reiserad war das ok, auf dem Rennrad fühlt man sich irgendwie verletzlicher. Mir reicht es jetzt langsam, zehn Kilometer habe ich doch schon hinter mir, noch immer sehe ich die richtige Abfahrt nicht. Die Steigung zieht jetzt an. So kann ich immerhin schon mal an meinem Höhenmeterkonto arbeiten.

Dann aber endlich die Abfahrt zur TF-82. Ich hatte echt keine Lust mehr auf Autobahn, das war vor drei Jahren noch akzeptabel zu fahren, jetzt definitiv nicht mehr. Zum Glück ist das der einzige Tag wo ich sowas durchziehen musste um die gewünschte Strecke zu fahren. Mit der geplanten Dauer könnte ich für die geplante Tour nun hinkommen.

Die 82 ist schön zu fahren. Durch die ausgebaute Autobahn ist sie deutlich entlastet zu früher, so dass man in Ruhe fahren kann. Dabei ist die Straßenführung ganz schön und der Belag meist recht gut. Ebenso bleibt die Steigung meist moderat.

So kann ich bei angenehm hoher Trittfrequenz im G2 Bereich fahren. Ab und zu kurvt die Straße über eine kleine Brücke wenn eine Barrancha ausgefahren wird, zweimal geht es durch einen kleinen Tunnel. Sehr schön.

Es ist allerdings auffällig warm. Ich fürchte das wird nicht nur ein langer, sondern auch ein heißer Tag. Naja, im Norden werden mich die tief hängenden Wolken schon abkühlen.

Ich fahre durch Guia de Isora, wo die Steigung nachlässt und es sogar eine kleine Zwischenabfahrt gibt. Dann über breite lange Straßen, die nach ein paar Kilometern wieder zu schlängeln anfangen, bis hinein nach Chio.

Das ist der Ort an dem ich nach meinem Ausflug in den Nordwesten um ca. 14:30 Uhr wieder ankommen muss, damit ich den zweiten Teil, nämlich den Anstieg zum Teide über die TF-38 nach einer kleinen Auffüllpause noch schaffe und anschließend noch im Hellen abfahren kann.

Jetzt fahre ich aber erst mal weiter auf der TF-82 bergauf. Gerne wäre ich die schöne lange neue Straße nach Los Gigantes heruntergefahren, aber dann hätte ich wieder auf die Autobahn fahren müssen, was ich definitiv nicht will, abgesehen davon gibt es diesmal eine Alternative. Nämlich am Kreisel oberhalb von Chio auf der TF-82 bleiben.

Auch diese Bergstraße ist sehr schön, der Belag ok. Und ich kann mich nun nach der anstrengenden Fahrt auf der TF-1 und dem längeren Anstieg auf der TF-82 erstmals etwas erholen.

So komme ich zwar nicht unten in Los Gigantes an, sondern oberhalb in Tamaimo, aber das macht nichts, denn die zusätzlichen Höhenmeter hole ich mir heute noch woanders, da bin ich mir sicher.

Tamaimo ist übrigens neben San Andres am anderen Ende der Insel mein Lieblingsort. Es herrscht hier eine so relaxte Atmosphäre. Kein touristisches Zentrum und doch belebt, immer wieder schön hier durchzufahren und sich vorzustellen wie schön es wäre hier zu sitzen und einen Cafe zu trinken ohne es wirklich zu tun. Denn ich fahre natürlich direkt weiter und erst mal steil berghoch in Richtung Santiago del Teide.

Eine schöne Serpentinenstraße, mit ordentlicher aber fairer Steigung. Es allerdings jetzt richtig heiß. Über 28° C zeigt der Radcomputer. Wie gut, dass ich soviel Getränke dabei habe, denn der Schweiß läuft in Strömen. Aber die Beine funktionieren noch super. Überhaupt fühle ich mich frisch, die relativ kurze, etwas zähe Einheit gestern hat doch zur Erholung beigetragen.

Ein Esel steht etwas desinteressiert am Straßenrand im Schatten. Schatten wäre jetzt nicht schlecht. Ich überhole einen Franzosen, der der Erschöpfung nach zu erteilen von ganz unten gestartet ist. Er torkelt etwas in der Mitte der Straße und erschrickt als ich ihn überhole, aber für einen freundlichen Gruß reicht es trotzdem noch.

Dann bin ich auch schon oben und rolle erst mal flach durch Santiago del Teide. Nach ein paar flachen Metern durch den Ort folgt der Abzweig zur TF-436 nach Masca. Ich hatte ganz vergessen, dass man ja erst mal steil berghoch muss um nach Masca herunterzufahren.

Die Steigung zieht schon nach wenigen Metern in den zweistelligen Bereich an und ich muss ordentlich ochsen um vorwärts zu kommen. Die Sonne knallt und im Wiegetritt leiere ich bis zur nächsten Kurve.

Zum Glück arbeiten die Beine immer noch gut. Es dauert mehrere Kurven bis es nach einer Serpentine Gelegenheit zur Entspannung gibt. Das ist allerdings nur die Vorbereitung für den steilen Schlussanstieg zum höchsten Punkt.

Der steht voll mit Autos, wie gesagt, die Insel ist wirklich voll die Tage. Das hatte ich schon beim Buchen feststellen müssen, und zeigt sich natürlich an den touristischen Highlights ganz besonders. Und ein touristisches Highlight ist Masca allemal. Der Ort liegt spektakulär auf einem Felsen in einem zerklüfteten Tal. Die Straße dorthin ist mindestens genauso spektakulär.

Vor allem aber ist sie steil und eng. Was den Radfahrer nicht nur bergauf vor eine große Aufgabe stellt, sondern vor allem auch bergab. Selbst in den kurzen Abschnitten bis zur nächsten Kurve beschleunigt man stark, so dass man heftig anbremsen muss. Dabei hat man keinen Spielraum um die Kurve auszufahren, weil erstens die Straße zu eng ist und zweites meist ein Auto entgegenkommt, dass schon 80% der Straßenbreite einnimmt.

Hier heißt es also tatsächlich an vielen Stellen mehr runterbremsen als runterfahren. Das die Bremsflanke der billigen RS11 Laufräder von Shimano zusammen mit den Standard Shimanobremsbelägen trotz Dura Ace Bremsen nicht der Bringer ist macht die Sache nicht komfortabler.

Aber es klappt zunächst ganz gut. Als Radfahrer bleibt man auch nicht hinter besonders unsicheren oder ängstlichen Autofahrern hängen, so dass die Abfahrt auch ein bisschen Spaß macht. An einer engen Kurve kriege ich das Rad allerdings gerade so im 17% Gefälle vor der Kurve verlangsamt und das Rad um die Ecke, nur um direkt vor einem großen Bus zum Stehen zu kommen.

Der Busfahrer grinst, ich grinse zurück, eine Fahrspur war dann wohl doch zu wenig… Der Rest der Abfahrt ist dann aber fast ohne Gegenverkehr, und kurz vor dem Ort ist es nicht mehr ganz so steil. So kann ich sogar zwei, drei Fotos von Masca machen.

Kurz muss ich nochmal das ganze Potential der Bremsen testen als ein Kleinbus beschließt auf der Straße zu drehen, obwohl er mich sieht, aber dann geht es auch schon wieder bergauf. Nach einer Kurve zieht die Straße gleich heftig berghoch.

Der Anstieg liegt nun in der prallen Sonne und bei fast dreißig Grad Hitze kurbele ich im zweistelligen Prozentbereich steil berghoch. Kurz entspannt sich die Steigung bevor sie auf 13% anzieht und bis aus dem Tal heraus dabei bleibt. Ein Blick zurück auf Masca, dann geht es in eine Zwischenabfahrt.

Ich bin hier zwar vor drei Jahren schon mal gefahren, kann mich aber nicht mehr so recht an den Streckenverlauf erinnern. Erst als die kleine Abfahrt zu Ende ist und die Straße brutal nach oben klappt fällt es mir wieder ein…

Über mehrere Recht- / Linkskombinationen muss man sich nach oben schrauben, dabei gibt es Abschnitte die so um 17, 18 Prozent liegen. Das es warm ist hatte ich ja schon erwähnt. Auch bleiben die erhofften kühlenden Wolken aus. Im Gegenteil, als ich endlich oben bin muss ich feststellen, dass auch an der Nordküste keine Wolken zu sehen sind. Klarer Himmel, strahlender Sonnenschein. Ein echtes Novum.

Ich hatte ja gehofft, dass ich hier jetzt eine Gelegenheit habe auf recht kurzem Weg nach Santiago del Teide zurückzukehren. Für ca. 14:30 Uhr hatte ich meine KH-Nachfüllpause in Chio geplant. Aber ich muss schnell einsehen, dass ich noch eine längere Abfahrt bis zur Küste habe und dann irgendwo wieder über den Berg zurück muss. So mache ich das Beste daraus und genieße die Abfahrt.

Das Gefälle ist eher sanft, so dass ich gut mittreten kann und mir keine Trainingszeit verloren geht. So gut 1700 Höhenmeter habe ich bis jetzt gesammelt, dazu kommen die zurück bis Chio und dann der Teideaufstieg, der Plan geht auf. Jedenfalls wenn ich mit der Zeit hinkomme.

Unten angekommen muss ich noch ein ganzes Stück an der Küste entlang fahren. Allerdings macht das auf der flachen TF-42 bei gutem Belag richtig Spaß. Im Auflieger mache ich ein bisschen Druck, so dass der Abschnitt bis Garachico recht schnell absolviert ist. Hier ist es jetzt sogar ein bisschen kühler, so um 25° C.

Ich könnte bis Icod fahren und dort direkt auf die TF-82, die dann durchzieht bis Chio, aber ich entscheide mich für die spektakulär schöne TF-421 ab Garachico. Bevor ich allerdings abbiege halte ich kurz an um die Flaschen aufzufüllen. Ich hatte erst überlegt durchzufahren, aber ich habe nur noch etwas mehr als einen halben Liter Wasser, das macht keinen Sinn, dafür ist es viel zu warm.

Im Cafe Trasmallo kaufe ich drei Liter Wasser, zwei Mango Smoothies ein Stück Kuchen, das eigentlich drei Stück Kuchen sind und einen Cafe con Leche. Einen kleinen Moment gönne ich mir in der kühlen Bar. Dass das alles zusammen nur 6,50 Euro kostet ist nicht zu fassen. Dabei ist der Cafe wirklich sensationell gut. Ein echter Tipp dieses Cafe…

Dann geht es aber wieder auf‘s Rad, eine längere Pause mag ich mir nicht gönnen, denn ich muss ja wie gesagt ca. 14:30 Uhr in Chio sein. Es gibt auch keine alternative Route als über die TF-38 über den Teide zurück, es sei denn auf der Autobahn.

Mit frisch befüllten Flaschen und ca. 13,5 Kg Fahrradgesamtgewicht fahre ich in die TF-421 hinein, und nach einer Kurve klappt die Straße einfach nach oben. Puh, drei Stück Kuchen im Bauch und dann das. Ich kämpfe im Wiegetritt und sehe aus dem Augenwinkel irgendwas von 18%, zumindest ein Teilabschnitt könnte auch 20% haben. Dann gibt die Steigung aber nach. Jetzt steigt die Straße im normalen Bereich und windet sich zunächst durch den Ort.

Schnell gewinnt man an Höhe und wird mit fantastischen Ausblicken belohnt. Was für eine geile Straße! Der Belag ist nicht perfekt, was aber bergauf egal ist, dafür wird die Aussicht mit jeder Serpentine besser. So macht Radfahren Spaß. Die wieder auf fast 30° C gestiegene Temperatur ist mir jetzt zunächst mal egal.

Die ersten sechs Kilometer bis El Tanque sind ein Genuss. Der Anstieg ist dort allerdings nicht zu Ende. Weiter schraubt sich die Straße nach oben. Nach einigen Kurven hat man erstmals Blick auf den über der Insel thronenden Teide.

Es dauert noch ein paar Kurven und etwas Strecke, dann trifft die 421 auf die TF-82. Ich biege rechts ab und hoffe, dass es nicht mehr zu weit ist bis Santiago del Teide. Ist es aber. Die Straße ist nicht brutal steil, steigt aber konstant und fordernd. Die Sonne brennt, bei 30° sehe ich zu, dass ich solide im G2 Bereich bleibe. Die Getränke haben auch schon wieder deutlich abgenommen. Ich mache mir etwas Gedanken wie ich mit der Zeit hinkomme.

Dabei funktionieren die Beine wie gehabt gut. Aber mental ereilt mich nach ein paar weiteren Kilometern eine kleine Schwächephase. Der blöde Berg könnte endlich mal zu Ende gehen. Ich habe Ruigomez erreicht, auf dem Radcomputer steht was von 300 Watt, ich sitze gut, auch die Sitzfläche fühlt sich heute gut an. Und doch will ich endlich bergab fahren.

Doch so schnell mag der Berg nicht nachgeben. Die Straße führt jetzt weiter bergauf durch hügelige Landschaft mit Blümchen und Sträuchern, ab und zu ein Baum. Auch als Erjos erreicht ist ändert sich das nicht. In Gedanken streiche ich die Fahrt zur Seilbahnstation und beschließe den Teideaufstieg über die TF-38 nicht vollständig zu fahren, sondern direkt am Abzweig zur 21 in Richtung Abfahrt zu fahren. Hm, ärgert mich, aber sonst wird es zeitlich zu knapp.

Die Strecke nach Santiago del Teide zieht sich jetzt wirklich wie Kaugummi, obwohl die Beine gut funktionieren. Dann endlich mal etwas Abwechslung am Abzweig zur 373. Das Schild zeigt noch vier Kilometer. Echt jetzt? Also weiterkurbeln.

Noch geht es berghoch, dann kommt aber überraschend bald das Schild, welches die Passhöhe Erjos mit 1117 Metern anzeigt. Ab hier geht es bergab. Puh, das wurde aber auch Zeit.

Schnell ist die Santiago del Teide erreicht. Ich rolle durch den Ort. Wenn ich die TF-82 weiterfahre, muss ich runter nach Tamaimo und dann wieder hochklettern. Was ist eigentlich wenn ich geradeaus fahre, gibt‘s da nur die TF-1?

Ich probiere es einfach aus. Denn die Autobahn ist ja bis hierhin ausgebaut, nur fährt da fast kein Auto drauf. Und die würde mich direkt bergab bis Chio führen. Ich fahre weiter, es geht auf einen Tunnel zu und davor sind so Mauthäuschen aufgebaut, es steht aber nur „Informacion“ auf dem Schild. Ist auch niemand da. Auch wenn diesmal explizit Fußgänger- und Fahrradfahrerverbotsschilder da stehen, fahre ich weiter. Die Straße hat einen riesigen Seitenstreifen, fantastischer Straßenbelag, es geht bergab, ein Traum.

Kein einziges Auto auf der Straße, ich fahre durch den herrlich kühlen Tunnel. Das ist die mit Abstand beste Straße auf ganz Teneriffa. Auch nach dem Tunnel kann ich schön locker im Auflieger abwärts geißeln bis zur Abfahrt auf die 82. Kurz durch den Kreisel und noch einen Kilometer bergab, dann ist Chio und der Startpunkt auf die TF-38 erreicht.

Ich liege gut in der Zeit und muss sicher nicht abkürzen. Kurz überlege ich durchzuziehen, aber die Getränke würden nicht reichen. So halte ich an der Tankstelle und trinke noch zwei Mango Smoothies, fülle die Flaschen auf und knabbere noch ein vertrocknetes Baguette ähnliches Gebilde.

Dabei treffen zwei weitere Rennradler zum KH-Laden an der Tankstelle ein. Ich würde sagen, die haben das gleiche Ziel. Ich grüße freundlich, aber außer einem bösen Blick und einem unfreundlichen Grunzen bekomme ich nichts zurück.

Was sind das denn für welche? Offensichtlich Norweger (sie haben‘s auf ihre Fahrräder geschrieben). Sehen sehr professionell und sportlich aus mit Scott Foil Rädern. Was haben die denn gegen mich? Haben die mich auf Grund des Aufliegers und des Flaschenhalters am Sattel als Triathleten abqualifiziert und reden deshalb nichts mit mir? Seltsam.

Anyway, dann halt nicht. Ich setzte mich auf‘s Rad und starte die Auffahrt. Ihr holt mich jedenfalls nicht ein. Der Anstieg beginnt eher sanft auf noch recht gutem Belag. Ich fahre aber vorsichtig an, da ich nicht überziehen will. Wenn die Norweger kommen, die bestimmt auch gleich starten, dann will ich kontern können.

So arbeite ich mich zunächst im niedrigen G2 nach oben. Da ich durch die Fahrt über die TF-1 so schnell in Chio war werde ich sicher doch bis zur Seilbahnstation fahren können. Dies ist mit ca. 40 Kilometern der kürzeste Anstieg zum Teide, und da man am Startpunkt schon über 350 Meter hoch ist, der mit den wenigsten zu bewältigenden Höhenmetern. Allerdings ist es auch der mit dem schlechtesten Belag.

So dauert es auch nicht lange und der Belag wird wirklich schlecht. Es gibt nur einen schmalen Streifen ziemlich links in der Fahrbahn der halbwegs vernünftig fahrbar ist. Das bleibt so bis Kilometer 23 der TF-38, dann gibt es nochmal ein gut zwei Kilometer ganz brauchbaren Belag. Die Strecke führt durch Kiefernwald.

Die Kilometer fließen dahin, die Beine funktionieren ganz gut. Mittlerweile fahre ich G2. Ich bin gespannt ob die Norweger mich einholen. Ich sinniere immer noch darüber nach, warum die so arrogant feindselig waren, kann aber keinen vernünftigen Grund finden.

Die Gedanken dazu reichen aber nicht aus um mich von der Steigung abzulenken. Die Kilometer zählen zwar ganz brauchbar runter, aber trotz moderater Steigung dauert es von Kilometerschild bis zu Kilometerschild immer länger als gedacht.

Dabei wird mir bewusst wie lange eigentlich ein Kilometer ist. Wie lange 1000 Meter sind. Und mir wird bei dem Gedanken im Juni die 4800fache Strecke bewältigen zu müssen etwas mulmig. Das RAAM flößt mir diesmal irgendwie viel mehr Respekt ein als das erste Mal. Auch damals schien mir die Distanz unvorstellbar. Aber die Vorstellung war sehr abstrakt. Nun habe ich ja eine konkrete Vorstellung davon und die Erfahrung von weiteren Ultradistanzrennen.

Ganz abgesehen von der Hitze die mich in der Wüste erwarten wird. Mir reichen gerade die 30° C die noch immer herrschen. Auch hier am Teide mit deutlichem Höhengewinn bleibt es warm. Gab es hier nicht immer so schön kühlen Wind? Bis jetzt bleibt er jedenfalls aus.

Noch 30 Kilometer bis zur Seilbahnstation, der Belag ist jetzt ruppig und schlecht mit einigen Schlaglöchern. Phasenweise muss man durch ein Meer von Schlaglöchern kurven, dann geht es wieder einigermaßen für hunderte von Metern.

Das Gerumpel lässt die Leistung absacken. Es kostet viel mehr Konzentration auf schlechter Strecke die Leistung hoch zu halten. Das hatte ich schon auf den Kopfsteinpflasterpassagen bei der Flandernrundfahrt feststellen müssen. Paris – Roubaix konnte ich ja nicht fahren, weil mich eine Erkältung ausgeschaltet hatte. Ich werde es aber auch definitiv nicht mehr in Angriff nehmen. Auf schlechte Strecke habe ich wirklich keine Lust mehr. Das Race Around Ireland hat mir da den Rest gegeben.

Aber egal, jetzt muss ich erst mal diesen Anstieg bewältigen. Ich motiviere mich doch G2 zu treten, denn da sind ja immer noch die unfreundlichen Norweger die irgendwo hinter mir fahren und die ich sicher nicht vorbeilassen will…

Die Kilometer fließen langsam dahin, aber sie fließen. Das schöne ist, dass die Straßenschilder bis zum Abzweig oben auf die TF-21 herunterzählen. D.h. ich weiß immer genau wie lange ich noch auf der Rumpelstrecke verbringen muss. Dabei wird mit jedem Höhenmeter der Kiefernwald etwas lichter, bis nur noch vereinzelte Bäume auf dem, geologisch gesehen, frischen Vulkanauswurf stehen.

Noch sind es ca. 15 Kilometer auf der 38 zu fahren. Die wenigen sanften Kurven werden nun noch weniger, die Radien öffnen sich und man fährt die meist Zeit recht gerade bergauf. Durch die langen Geraden bekommt man die Länge des Anstiegs sehr plastisch vor Augen geführt. Psychologisch ist das durchaus herausfordernd. Ich zähle halt Kilometer, versuche die gedankliche Multiplikation mit 4800 zu vermeiden, und hadere etwas mit dem schlechten Belag.

Noch immer ist es über 26° C warm. Mein linker Arm ist ziemlich verbrannt, da hat auch SF56 nichts genutzt. Mist, der erste Tag mit der vergessenen Sonnencreme ließ sich nicht mehr ausgleichen… Mittlerweile bin ich über 1700 Meter hoch und es ergeben sich immer wieder Ausblicke auf den mächtigen Teide. Die Beine sind noch gut. Ich versuche zwischen 280 und auch mal 300 Watt zu treten.

Lange zieht sich die Straße, nach jeder sanften Kurve kommt die nächste unendliche Gerade. Immerhin sind die Kilometerangaben auf den Schildern jetzt einstellig. Noch sieben Kilometer, noch fünf Kilometer. Ich liege erstaunlich gut in der Zeit.

Noch vier Kilometer. Am Straßenrand parkt ein Auto. Dahinter steht eine Frau, die mir, als ich vorbeifahre, auf englisch mit norwegischem Akzent Wasser anbietet. Das ist aber nett. Ich lehne dankend ab, schließlich habe ich noch genug. Finde es aber die interessant, dass die unhöflichen Norweger immerhin eine höfliche Frau dabei haben…

Die arbeiten also mit Support. Immerhin weiß ich jetzt, dass sie auch wirklich hinter mir sind. Auf der TF-38 lasse ich mich auf keinen Fall mehr einholen und in der Hochebene werden wir sehen. Die sind zu zweit und könnten im Flachen aufholen.

Jetzt muss ich aber erst mal den heftigsten Teil überstehen. Denn jetzt flacht die Straße zwar ab, aber es geht über den perversen Folterbelag. Warum dieser Teil der Straße nicht wenigstens gemacht wird kann ich nicht verstehen.

Ich versuche es im Auflieger, geht aber nur am Anfang. Es schlägt und rumpelt, ich versuche schneller zu fahren, die alte Paris – Roubaix Taktik, aber die Schläge sind so heftig, dass ich umgreifen muss. Ich fluche die verdammte Straße an, die schlägt zurück bis zu dem Punkt wo ich den Lenker nicht mehr fest greifen kann, sondern nur noch irgendwie gerade halte, außer Kribbeln und Brennen in Füßen und Händen spüre ich nur die bösartigen Schläge zwischendurch. Die Sitzfläche wird durchgeprügelt und schmerzt. Ich hasse diese Straße. Rennradfahren kotzt mich an. Nie, nie mehr werde ich diese verdammte Straße fahren. Überhaupt werde ich nie mehr nach Teneriffa fahren.

Diese zwei Kilometer scheinen nicht aufzuhören, tun sie aber natürlich doch. Wütend biege ich auf die TF-21 ab. Alles tut weh. Selbst die 21 ist jetzt nicht schön zu fahren. So einen Scheiß werde ich mir nicht mehr antun. Wird Zeit, dass ich auf‘s Moutainbike wechsle, und dann werde ich vollgefedert mit dicken Reifen trotzdem auf der Straße fahren…

Im Auflieger versuche ich trotzdem Tempo zu machen. Da sind ja noch die Norweger, außerdem liege ich sehr gut in der Zeit, noch deutlich unter zwei Stunden, d.h. statt der gedachten drei Stunden könnte ich in 2:15 h an der Seilbahnstation sein. Was bedeuten würde mit etwas Glück bekomme ich da noch einen Cafe con Leche. Das ist doch mal ein Ziel.

Ich erreiche den frisch geteerten Abschnitt. Was für eine Wohltat. Die Beine bringen 280 bis 300 Watt. Bei über 4000 Höhenmetern die ich bereits absolviert habe wirklich gut. Die Schmerzpunkte haben sich beruhigt. Ich kann wieder etwas angreifen.

Auch als die Steigung anzieht macht es wieder Spaß bergauf zu fahren. Ich weiß, dass die letzten Kilometer vor mir liegen. So überwinde ich die lange Gerade auf den Teide zu, komme mit dem wieder schlechter werdenden Belag zurecht, und auch der Wind der nun entgegenbläst ist recht schwach. Dadurch kühlt er auch kaum und die Temperatur ist immer noch recht hoch, deutlich in den Zwanzigern.

Dann ist tatsächlich Kilometer 43 der TF-21 erreicht. Ich biege ab zur Seilbahnstation, ein letztes mal zieht die Steigung kräftig an, dann fahre ich auf die Station zu. Die letzten 100 Meter ein Genuss!

Oben bekomme ich tatsächlich noch einen Cafe und ein Stück Erdbeerkuchen. Es ist zwar erst gut halb fünf und offiziell ist das Cafe bis 17 Uhr geöffnet aber hier oben kehren die um zwanzig vor die Leute schon raus.

Aber den Cafe kann ich noch kurz genießen, das Kuchenstück inhaliere ich innerhalb weniger Sekunden. Viereinhalbtausend Höhenmeter machen KH-Hunger.

Dann geht es zurück auf‘s Rad. Ich habe zwar diesmal sogar eine Jacke dabei, aber es ist so warm, dass ich sie nicht anziehe.

Ich genieße den ersten Teil der Abfahrt, ein paar Querfugen, aber einer der wenigen etwas schnelleren Abschnitte hier auf Teneriffa. Dann geht es vorbei an den markanten Felsen und dem Hotel Parador. Kurz dahinter treffe ich dann tatsächlich auf die Norweger die mir entgegen kommen. Die waren immerhin eine gute Motivationshilfe 🙂

Den Abschnitt zurück über die Hochebene mag ich eigentlich sehr. Auch wenn ich natürlich immer schon sehr platt bin wenn ich hier fahre, so hat man doch normalerweise Rückenwind und kann ordentlich Druck machen.

Mental habe ich den Tag aber schon abgeschlossen. Ich will eigentlich nicht mehr fahren, sondern nur noch im Hotel unter der Dusche stehen. Der Gegenanstieg geht trotzdem noch ganz gut. Dabei überhole ich noch ein Radfahrpärchen, ansonsten meditiere ich mich eher bewusstlos die vier Kilometerchen nach oben.

Ich hätte doch zwei Erdbeerkuchenstücke essen sollen. Ich habe Hunger. Anyway, noch eine Stunde bergab, dann ist es geschafft. Die Hände schmerzen etwas, aber der erste Teil ist ja immer angenehm zu fahren, und so ist Vilaflor schnell erreicht.

Von dort nehme ich den direkten Weg nach San Miguel über die TF-563. Auch in San Miguel wähle ich den kürzesten Weg und biege im Ort gleich auf die TF-65 ab. Dabei merke ich, dass ich meinen Trainingsplan etwas ändern muss.

Morgen brauche ich definitiv einen Ruhetag. Die Oberschenkel melden Ruhebedarf an, die Hände könnten eine Pause vertragen, die Sitzfläche ebenso. Abgesehen davon müsste ich mal einen Bürotag einlegen und ein paar Emails abarbeiten und die Blogeinträge hochladen.

So rolle ich mit dem Gedanken an einen Tag Pause zufrieden ins Hotel. Ein weiterer guter Trainingstag mit vielen Höhenmetern und einigen spektakulären Abschnitten ist geschafft.

Weiter Beitrag

Zurück Beitrag

Antworten

© 2024 steilberghoch

Thema von Anders Norén